Ein Aufkleber an einer Laterne am Rheinufer gibt ein Rätsel auf: „Depuis des générations / Paname / Kölle“, steht darauf. Welche besondere Verbindung zwischen Köln und Panama soll da gemeint sein? Und warum ist der Text auf französisch und nicht auf spanisch?
Der Lösung des Rätsels kommt man auf die Spur, wenn man sich die Abbildung genauer anguckt. Da erkennt man außer den Spitzen der Kölner Domtürme die stilisierte Darstellung eines weiteren, weltberühmten Gebäudes (zumindest eines Ausschnitts davon), nämlich des Eiffelturms in Paris. Wer sich ein bisschen im französischen Fußball auskennt, weiß auch, wo diese Darstellung herkommt: Aus dem Vereinswappen des Paris Saint-Germain Football Club. Dort überspannt der Eiffelturm das französische Nationalwappen, die Lilie. Bis 2013 fand sich noch ein anderes Element auf dem Emblem: Es sah aus wie ein Kinderwagen, stellte aber tatsächlich eine Wiege dar soll. Lilie und Wiege stammen aus dem Stadtwappen von Saint-Germain-en-Laye, dem Pariser Vorort, in dem der Verein gegründet wurde und heute noch sein Trainingszentrum hat. Saint-Germain ist auch der Geburtsort des Sonnenkönigs Louis XIV.: Das Geburtsdatum – „5 7bre 1638“ – findet sich ebenfalls im Stadtwappen.
Gefeiert wird auf dem Aufkleber also keine lateinamerikanisch-deutsche Verbindung, sondern eine französisch-deutsche. Genauer: Eine Fanfreundschaft zwischen zwei Ultrà-Gruppen, der Kölner Wilden Horde und den Supras aus Paris. Diese Freundschaft existiert zwar noch nicht wirklich „seit Generationen“, wie der Aufkleber behauptet, aber immerhin schon ein gutes Dutzend Jahre. (Ein paar Infos gibt es in diesem Fanzine.)
Aber damit ist das Rätsel noch nicht vollständig gelöst. Warum steht auf dem Aufkleber „Paname“ für Paris? Dazu muss man ein wenig weiter ausholen, denn die Antwort führt auf einen durchaus interessante Spur in die französische Volkskultur. Denn Paname ist eine gängige umgangssprachliche Bezeichnung für Paris, „un petit nom d’amour que les Parisiens donnent à leur village„. Woher diese Bezeichnung kommt, ist nicht ganz klar. Sicher ist, dass sie wohl Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts erstmals auftauchte, laut dem Dialektforscher Gaston Esnault zunächst bei den „Kleingärtnern der Banlieues“, also im kleinbürgerlichen Milieu der Vorstädte.
Ein „petit nom d’amour“ war die Bezeichnung anfangs allerdings keineswegs, sondern eher ein Schimpfname. Um diese Zeit erschütterte eine große Korruptionsaffäre die französische Politik: Der Panamaskandal. 1889 hatte die Compagnie universelle du canal interocéanique de Panama, eine Projektgesellschaft unter Führung des Grafen Ferdinand de Lesseps, Konkurs anmelden müssen. Lesseps hatte in den Sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts mit großem Erfolg den Bau des Suezkanals vorangetrieben und wollte das Kunststück auf dem Isthmus von Panama wiederholen. Aber was in Ägypten gelungen war, geriet in Lateinamerika zum Fiasko: Malaria- und Gelbsucht-Epidemien ließen die Arbeiter wie die Fliegen sterben, außerdem hatte man die Schwierigkeiten des bergigen Terrains unterschätzt, dadurch explodierten die Kosten und die Zeitpläne gerieten aus den Fugen.
Um das Vorhaben zu retten und Investoren zu gewinnen, wurden Politiker und Presse geschmiert. Die großen Schwierigkeiten und Probleme des Projekts wurden dabei geflissentlich vertuscht. Noch 1888, als das Scheitern eigentlich unausweichlich war, wurden im großen Stil ungedeckte Wertpapiere ausgegeben und vor allem an Kleinsparer verkauft. Ohne Erfolg: Die Compagnie fuhr vor die Wand, und viele der rund 90.000 Aktionäre waren ruiniert.
Der Skandal erfasste die gesamte französische Politik: Immer neue Enthüllungen über bestochene Politiker und Journalisten führten zum Sturz von zwei Regierungen, zu Prozessen und Verurteilungen. Lesseps bekam eine Haftstrafe, ebenso Gustave Eiffel, der in der Spätphase des Projekts als Ingenieur hinzugezogen worden war. (Beide mussten allerdings nicht in Gefängnis, weil die Urteile später aufgehoben wurden.) Vor allem im Kleinbürgertum wuchs das Ressentiment gegen die Politiker und Banker, die Panamisten oder Panamitards, die Tausende von Anleger in den Ruin getrieben hatten. Paris wurde zu Paname, zum Haifischbecken, in dem gewissenlose Spekulanten ihr Unwesen trieben. Vor allem in den Vorstädten, bei den oben erwähnten Kleingärtnern zum Beispiel, fand der Schimpfname rasch Resonanz, bei den „arbeitsamen, aber gering verdienenden Menschen, die jeden Morgen in die Stadt kamen und, wenn auch widerwillig, eine Zollsteuer für die Waren auf ihren Handkarren bezahlen mussten“, wie der Schriftsteller Claude Duneton schrieb: „Man kann schon verstehen, warum sie die ersten waren, die einen verächtlichen Spitznamen für diese arrogante und betrügerische Großstadt gebrauchten. Panam!“
(Ein Paname-Kanal.)
In das Ressentiment mischten sich auch antisemitische und nationalistische Töne: Unter den Hauptverantwortlichen des Skandals waren zwei jüdische Geschäftsleute mit familiären Wurzeln in Deutschland, Baron Jacques de Reinach und Cornelius Herz. Zusammen mit der Dreyfus-Affäre, die nur kurze Zeit später ihren Anfang nahm, hatte der Panamaskandal einen enormen Einfluss auf die Entstehung des modernen Antisemitismus: Hannah Arendt widmet ihm aus diesem Grund auch ein ganzes Kapitel ihres Buchs über die Ursprünge des Totalitarismus. Übrigens nicht nur in Frankreich: 1930 erschien in Deutschland das Theaterstück Panamaskandal des Schriftstellers Eberhard Wolfgang Möller, der später Theaterreferent in Göbbels‘ Propagandaministerium wurde. Das Stück macht aus Reinach den eigentlichen Schurken der Affäre – die Verkörperung eines angeblichen jüdischen Ausbeutergeists, der es vor allem auf die kleinen Leute abgesehen habe. (Göbbels erwähnt das Stück übrigens kurz in seinen Tagebüchern, fand es aber nicht sonderlich beeindruckend: „Guter Dialog, aber keine Linie, keine Tendenz, keine Festigkeit.“)
Es dauerte einige Jahre, bis Paname vom Schimpfwort zum Kosenamen wurde. Lange hielten sich noch andere Spitznamen für Paris: Pantin zum Beispiel, eigentlich der Name eines eher farblosen Vorortes im Nordosten der Stadt, der aber pars pro toto für die ganze Metropole benutzt wurde. Im Argot wurde das häufig zu Pantruche verballhornt, womit man vor allem das Paris der kleinen Leute meinte. („-uche“ ist ein Argot-typisches Suffix für ironische Verballhornungen.) Aus Pantruche wurde dann bisweilen auch Pampeluche, was an das märchenhafte Land Pampeligosse erinnert, dessen Name möglicherweise von der Stadt Pamplona abgeleitet ist und das schon in mittelalterlichen Texten erwähnt wird (ebenso bei Rabelais).
All diese Spitznamen hatten noch lange Bestand, aber so etwa in den Jahren des Ersten Weltkriegs begann sich allmählich Paname durchzusetzen. Laut Dureton waren es zunächst die Soldaten in den Schützengräben, die den Spottnamen sentimental aufluden: „Revoir Paname, Paris wiederzusehen, das war der tiefste Wunsch dieser lebenden Toten.“ Aus den Schützengräben wanderte der Name in den Zwanzigern und Dreißigern in die Chansons, die Kabaretts und Music Halls, und diente dort zur ironischen Feier einer Metropole, die vielleicht ein Haifischbecken sein mochte und ein Dschungel, aber zumindest einer mit Glanz und Glamour. Den Panamakanal hatten inzwischen die Amerikaner fertiggestellt – na und: Kanäle hatte Paris auch zu bieten, die waren vielleicht nicht so exotisch, dafür konnte man dort wie Bouvard und Pécuchet den Holz- und Kohlekähnen zuschauen und die Welt wenigstens in Gedanken erobern.
Der Name Paname überdauerte die Zeit der Besatzung und des Zweiten Weltkriegs, bekam aber einen etwas nostalgischen und melancholischen Beigeschmack. So zum Beispiel bei Léo Ferré, der in den Sechzigern die wohl berühmteste Hymne auf den Spitznamen sang: „Paname / T’es bell‘, tu sais, sous tes lampions / Des fois quand tu pars en saison / Dans les bras d’un accordéon.“ Wenig später versuchte eine neue Generation dann tatsächlich, den Strand zu finden, der unter den Pflastersteinen von Paname liegen sollte.
Danach kam die Bezeichnung auch mal ein wenig aus der Mode. 2010 schrieb Duneton, es klinge „etwas altmodisch, wenn man sagt: ‚Ich gehe nach Paname‘.“ Das konnte er allerdings nur sagen, weil er vermutlich keinen französischen Hip-Hop hörte, denn dort erlebte der Name durchaus eine kleine Renaissance: Raprésenter Paname, damit spricht man für die ganze Stadt einschließlich des riesigen und chaotischen Gürtels der Banlieues, „pour les mecs dans des appart’s et pour le ghetto“ (wie es in „On est ensemble“ von der S-Crew heißt). Am besten könnte man Paname vielleicht mit der schillernden Bedeutung vergleichen, die der Name Babylon im englischsprachigen Raum hat. „Kölle“ klingt dagegen zugegebenermaßen nicht ganz das globale, metropolitane Flair. Aber die Kölner haben bisher natürlich auch nur Stadtarchive versenkt, und nicht Millionen im Dschungel.
(Noch ein Paname-Kanal.)
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