Oriana Fallaci gehörte mal zu den wichtigsten literarischen Stimmen Italiens. Seit einigen Jahren ist die Stimme aber zum Megaphon geworden, la Fallaci ist auf dem Kreuzzug, gegen die Bedrohung der westlichen Zivilisation durch den Islam, aber mindestens mit dem gleichen Furor auch gegen den Teil der italienischen Öffentlichkeit, der ihren Tiraden mit Skepsis gegenübersteht.
Zu den Sympathisanten gehört aber ganz offensichtlich der Corriere della Sera: Zwei große Druckseiten hat er Fallaci am Samstag zur Verfügung gestellt, in spartanischem Design, aber mit den Kernsätzen in großen Lettern. Dazu mit einem düsteren Schwarz-Weiß-Porträt der Autorin, en face, im Halbdunkel, mit sorgenvollem Gesicht und tiefen Falten auf der Stirn. (Den Text gibt’s nicht auf der Website der Zeitung, aber er ist hier nachzulesen.)
Vom „Feind, den wir als Freund behandeln“, schreibt sie dort, vom „nazismo islamico“, dem Krieg gegen den Okzident, dem „Kult des Todes“ und dem Selbstmord Europas, das nicht mehr Europa sei, sondern „Eurabia“. Es geht nicht einfach gegen den Islam, sondern gegen „das Monstrum“, „il Mostro“ (mit großem M), dass „in unterirdischen Städten“ heranwächst, „vergleichbar dem Beirut der Siebziger, als Arafat dort einmarschierte“. Ein Monstrum, „das (auf unsere Kosten) in den Universitäten studiert hat, in bekannten Colleges und Eliteschulen. (Mit dem Geld der verwandten Scheichs und der ehrlichen Arbeiter.)“ (Dass nicht wenige dieser Hochschulen auch ganz gut von ihren muslimischen Gönnern leben, ist ihr in ihrem Eifer wohl entgangen.)
Ein Monstrum hat nur einen Körper, aber es spricht mit vielen Zungen. Da soll es Moslems gegeben haben, die sich entsetzt über die Attentate geäußert haben? Und wenn schon: „Hypokritische Verurteilungen“, „verlogene Abscheu“ , „falsche Solidarität mit den Verwandten der Opfer“. Denn das Monstrum war schon immer grundböse und wird es auch immer bleiben: „Wann im Verlauf ihrer Geschichte, einer Geschichte, die 1.400 Jahre dauert, haben sich [die Moslems] je geändert?“ Ganz anders natürlich die Christen: Die haben zwar auch eine blutige Geschichte, wie Fallaci eingesteht: „Aber wir haben uns wenigstens im Namen des Anstands ein bißchen gebessert. Sie nicht.“
Ein Glück, dass es die Kreuzzüge geegeben hat: Da haben „die Katholiken“ mit dem „Prinzip der Selbstverteidigung“ dafür gesorgt, dass wir heute nicht „mit Burka oder Jalabah“ herumlaufen und der Petersdom keine Moschee ist. Und dass es den Corriere gibt, in dem Fallaci ihr Pamphlet unterbringen kann.
Das Irritierende an Fallacis Tirade ist aber nicht dieses Gebräu aus Mythos und Monstergeschichte, und auch nicht das Ausblenden von Argumenten, wo man nichts dringender bräuchte als Argumente. Denn eigentlich geht es darin gar nicht um den Islam. Es geht vor allem erst mal um eines: Um Oriana Fallaci. Mehr als die Hälfte des Textes verbringt sie damit, uns, den Lesern („cari miei“), vorzurechnen, wie recht sie in der in den letzten Jahren schon gehabt habe und wie ungerecht man in Italien mit ihr umspringe, von der Schweiz und von Frankreich, wo man sie angeklagt hat, ganz zu schweigen. Fast könnte man denken, der größere Feind ist in Wirklichkeit Italiens Radical Chic, „die Kaviar-Linke, die Leberpasteten-Rechte und auch die Schinken-Mitte“, die „Kollaborateure des Monsters“, die „in guter oder böser Absicht ihm die Türen geöffnet haben“.
Und dem „Kult des Todes“ der Selbstmordattentäter begegnet sie, in dem sie sich selbst zur Märtyrerin gestaltet, zur einsamen Ruferin in der Wüste. „Wie eine Kassandra habe ich mich heiser geschrieen: ‚Troja brennt, Troja brennt‘, und bin verzweifelt daran, wie die Danaer eine Stadt überschwemmen, die unter ihrer Stumpfheit begraben liegt“. Wie Isabella von Kastilien will sie sich mit erhobenem Kruzifix den muslimischen Invasoren entgegenstemmen. Und wie eine moderne Katharina von Siena wirft sie sich sogar dem Papst an die Rockschöße: „Santità“, schreibt sie, „zu Ihnen spricht eine Person, die Sie bewundert“, eine „devote Atheistin“, die aber bei aller Lobhudelei nicht akzeptieren will, dass der Papst öffentlich den Dialog beschwört und nicht die Demagogie.
Dieser Text klingt mehr wie eine persönliche Abrechnung: Hier spricht jemand aus tiefer Kränkung und die Bombenattentate sind nur der Anlaß, mit schäumender Wut um sich zu schlagen. Darum endet der Text auch so, wie Pamphlete von Märtyrern oft enden, nämlich damit, den Teufel geradezu lustvoll an die Wand zu malen. Für Fallaci ist es ausgemacht, dass Italien das nächste Opfer sein wird. Und mit einer bizarren Detailfreudigkeit spekuliert sie über das Wann und Wo: Wird es Mailand treffen oder Rom? Wird es an Weihnachten sein oder zum nächsten Wahltermin? Und außerdem: Werden die Attentäter diesmal damit zufrieden sein, bloß ein Blutbad anzurichten? Nein, das werden sie nicht, sagt unsere Kassandra: „Ich glaube, dass sie mit den Menschen auch irgendein Kunstwerk massakrieren wollen“. Aus schierem Neid, denn „Kunst hat ihr angeblicher Leuchtturm der Zivilisation nie zu produzieren vermocht“.
Fast möchte man diese Fantasien als bizarre Hirngespinste abtun, aber leider ist ja nicht auszuschließen, dass die nächsten Attentäter tatsächlich derart stumpfsinniges Gedankengut mit sich herumschleppen. Und das ist das eigentlich Erschreckende an Fallacis Text: Dass ihre Geisteswelt von der der Selbstmordattentäter weniger weit entfernt ist als sie uns glauben machen möchte. In den letzten Sätzen beschwört sie wie im Rausch die Unausweichlichkeit der Situation:
Wir können nicht entkommen oder die weiße Flagge hissen. Wir können uns dem Monster nur mit Ehre und Mut entgegenstellen, und uns daran erinnern, was Churchill den Engländern sagte, als er in den Krieg gegen Hitlers Nazismus zog. Er sagte: ‚Wir werden Blut und Tränen vergießen.‘ Oh ja: Auch wir werden Blut und Tränen vergießen. Wir sind im Krieg: Wollen wir uns das endlich klarmachen, ja oder nein?!? Und im Krieg, da weint man, und stirbt man. Punkt und aus.
Wie viele Intellektuelle heute am Schreibtisch den Märtyrertod sterben, das ist schon erstaunlich. Man nennt das wohl Kollateralschaden.
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