Sassygate


In Großbritannien haben Blogs zum ersten Mal eine Personalentscheidung in den Mainstream-Medien beeinflußt: Der Guardian trennte sich in der vergangenen Woche von einem Volontär, der einer islamistischen Organisation nahesteht.

Dass es ausgerechnet den Guardian getroffen hat, ist schon etwas kurios: Kaum eine der großen britischen Zeitungen hat Blogs als Medium so offenherzig integriert. Gut ein Dutzend Weblogs (oder als Blogs deklarierte Rubriken) finden sich auf der Site der Zeitung und der des Schwesterblatts The Observer.

Die Affäre um den trainee Dilpazier Aslam – aus Gründen, auf die ich gleich kommen werde, auch Sassygate genannt -, steht aber nicht nur für einen gewachsenen Einfluß von Blogs (die kann man an so einem Einzelfall eh noch nicht ablesen), sondern auch für die Schwierigkeiten vieler linker und liberaler Publikationen, eine politisch korrekte Linie zu halten, wenn über religiös motivierten Terrorismus berichtet werden muss.

Der gut gemeinte Multikulturalismus, der dabei herauskommt, ist leider nur ein Tanz durch die Fettnäpfchen. Der Guardian hat dabei, das muß man schon sagen, eine ziemlich unglückliche Figur abgegeben.

Dass Aslam einen Kommentar zu den Attentaten vom 7. Juli schreiben durfte, ist ja noch im Rahmen des Üblichen: Auch konservative Zeitungen haben danach ihre Vorzeige-Moslems mobilisiert. Der Text des Kommentars war jedoch mehr als sonderbar, zumal für eine Zeitung für den Guardian: „We rock the boat“, war die Überschrift, und „Today’s muslims aren’t ignored to ignore injustice“.

Es ist für mich ein Rätsel, warum manche Menschen angesichts solcher Ereignisse wie in London statt Trauer oder Schmerz erstmal das Bedürfnis empfinden, den Ball sofort wieder ins andre Feld zurückzuspielen. Als Reaktion auf die Attentate von London ist das doch eine sehr seltsame Stellungnahme, zumal von jemandem, der sich selbst als „Yorkshire lad, born and bred“ bezeichnet und sich zumindest britisch genug fühlt, um die ersten Absätze seines Kommentars in der dritten Person Plural zu schreiben.

Und es ist nicht schwer, den Text als verquere Apologie zu lesen, für – tja, sagen wir mal, nicht die Attentate, aber dafür, dass es eine Wut im Bauch geben könnte, die zu solchen Attentaten führt. Bei der Suche nach den Gründen ist Aslam auch erst mal wenig originell: Der Irak-Krieg ist schuld. Dann bringt er aber doch ein Argument, dass einen schon stutzen läßt (zumal die dritte Person Plural hier auf einmal wechselt): Aslam beschwert sich auch über die Passivität der älteren Generation britischer Moslems, ihre „Don’t-rock-the-boat“-Mentalität, und lobt an der nachfolgenden Generation: „We’re much sassier with our opinions, not caring if the boat rocks or not.“

Nun hat am 7. Juli einiges mehr gebebt als nur ein Boot, und ’sassy‘ ist wohl das unpassendste Wort, das man in diesem Zusammenhang finden kann: ‚Frech‘, ‚vorlaut‘ übersetzt mein Wörterbuch, Teenie-Magazine nennen sich so. Die Bomber von London – nicht mehr als brutalisierte Halbstarke, mit scharf gemachtem Düngemittel im Rucksack?

Schon merkwürdig, dass so ein Text scheinpar problemlos an allen redaktionellen Instanzen vorbei auf die Kommentar-Seite rutschen darf. Für den Guardian wurde das Ganze aber noch peinlicher, als ein Blogger namens Scott Burgess enthüllte, dass Aslam der fundamentalistischen Organisation Hizb-ut Tahrir angehört. Die Hizb-ut Tahrir will das Kalifat wieder errichten und schwingt dafür auch schon mal jihadistische und antisemitische Parolen. Aslam war nicht nur Mitglied, sondern hat auch ein paar Texte für diesen Verein publiziert.

Seine Texte für den Guardian waren in der Regel harmloser Natur: Wie alle Volontäre über alles mögliche geschrieben und über nichts so richtig, über die Geschichte der roten Telefonboxen, über verschwundene Teenager und über „Zehn Dinge, die Sie noch nicht wußten“. Aber auch, unter der Überschrift I could scream with happiness. I’ve given hope and strength to Muslim women. (Das Mädchen hatte im Verlauf des Prozesses übrigens Unterstützung durch die Hizb-ut Tahrir bekommen, was Aslam im Text gar nicht erwähnt.) Aslam gehörte auch zum Reporter-Team, das nach den Bombenanschlägen über die Ermittlungen in Leeds berichtete.

Das war natürlich Wasser auf den Mühlen konservativer Blogs, und die klapperten kräftig drauflos: Haben wir’s nicht gewußt, die liberale Presse züchtet am Terrorismus mit? (Zufällig kam zur selben Zeit eine BBC-Direktive an die Öffentlichkeit, die aus den Nachrichten über London das Wort „terrorist“ strich und durch „bomber“ ersetzte.) Aber auch in linken Blogs kam der Guardian nicht gut weg.

Auf die Enthüllungen in den Blogs reagierte die Zeitung äußerst hilflos: Man sei eben bemüht, die „diversity“ des Personals zu erhöhen und die Diskussion mit der muslimischen Community zu verbessern. Beim Bewerbungsgespräch habe Aslam seine Mitgliedschaft in der Hizb-ut Tahrir verschwiegen, behauptete das Blatt weiter, mußte aber zugleich einräumen, dass er im Kollegenkreis keinen Hehl daraus gemacht hatte. In einem „Background“-Artikel versucht man das Ganze dann auch wieder herunter zu spielen: Hizb-ut Tahrir sei nur eine „fringe group“, „widely derided as unrepresentative“ (und darum nur ein Haufen harmloser Verrückter?).

Dem Blatt war es sogar nicht zu peinlich, persönliche Motive zu denunzieren: Burgess „spends his time indoors posting repeated attacks on the Guardian“, tuschelte ein ungenannter „staff reporter“, weil Aslam ihn im Bewerbungsverfahren aus dem Feld geschlagen hatte. Und der Kommentator maulte weiter:

The story is a demonstration of the way the ‚blogosphere‘ can be used to mount obsessively personalised attacks at high speed. […] The episode was a striking illustration of the way that blogs and bloggers can heat up the temperature and seek to settle scores – as well as raise legitimate concerns about journalism and transparency – when something awful happens in the streets of London.

Die „legitimate concerns“ scheinen dann aber doch erheblich gewesen zu sein: Weil Aslam auch auf Drängen der Redaktion seine Mitgliedschaft in der Hizb-ut Tahrir nicht kündigen wollte, schmiß ihn der Guardian raus. Die Personal-Diskussion ist man damit erst mal los, das grundsätzliche Problem natürlich noch nicht. Aber warum soll der linke Mainstream das Thema auch besser handhaben können als populistische Lärmbeutel von der anderen Seite?

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