Frau mit Kiemen





Elias Canetti hat bekanntlich nie ein Hehl aus seiner Abneigung gegen Biographen gemacht: „Denn wenn ein Tausendstel von ihm anders war als das Übliche, so waren 999 Tausendstel wie bei jedem anderen. Diese sind es aber, die man sucht und findet und zur Bestätigung des Üblichen verwendet.“ Aber so eine Widerspenstigkeit den Biographen gegenüber macht es natürlich um so interessanter, in das Laboratorium zu spinxen, und so habe ich die Einladung von Ines Schlenker gerne angenommen, Canettis Arbeitszimmer in der Wohnung von Marie-Louise von Motesiczky anzuschauen.

Motesiczky ist aus Anlaß des Canetti-Jubiläums wieder ein bißchen mehr beachtet worden, nicht zuletzt durch die Herausgabe der Aphorismen-Sammlung Aufzeichnungen für Marie-Louise. Sie war Freundin, Geliebte und Korrespondenzpartnerin Canettis, und ihr Haus in London Arbeitsexil und Fluchtpunkt.

Sie gehörte zu der Menage à quatre, die Canetti selbst so charakterisierte: „Eine klagt, die Andre torkelt, und die Dritte atmet durch Kiemen. Der glückliche Besitzer von drei ganz verschiedenen Frauen.“ Die klagende ist Canettis Frau Veza gewesen, die Torkelnde die Dichterin Friedl Benedikt, Marie-Louise war die Frau mit den Kiemen: Motesiczky träumte häufig von Fischen (die tauchen auch oft in ihren Bildern auf) und hat Canetti davon erzählt. Alle drei wußten voneinander, und in Sven Hanuscheks Canetti-Biographie kann man nachlesen, zu welchen bizarren Situationen das bisweilen führte, etwa wenn Veza für die Liebespaare kochte, während die gerade im Nebenzimmer waren, oder wenn Canetti sich in den Büschen versteckte, um seine Freundinnen zu belauschen.

Motesiczky ist aber mehr als nur eine literarische Fußnote: Ihr Wohnhaus ist Sitz des Trusts, der ihr malerisches Werk verwaltet. Und das ist ein beeindruckendes Œuvre. Canetti kommt darin mehr als nur einmal vor, das berühmteste Porträt hängt in der Londoner National Portrait Gallery, das lustigste ist vermutlich auch das unbekannteste, da hat sie sich nämlich für das Epithet mit den Kiemen gerächt, in dem sie Canetti als fickende Ratte malte.

Noch häufiger taucht die Mutter auf, mit der Motesiczky ins Exil gegangen war und die 1976 im Alter von 96 Jahren starb. Motesiczky beobachtete ihr Altern und ihre Gebrechlichkeit mit einem schonungslosen, aber trotzdem liebevollen Blick: Die Mutter liegt oft wie ein gestrandeter Oblomov im Bett oder auf dem Sofa, aber der Blick ist nie stumpf oder passiv, immer wach, wie der einer Diktatorin, die gebrechlich sein mag, aber nicht machtlos.

Im nächsten Jahr soll es eine umfangreiche Retrospektive geben, die in der Tate Modern in Liverpool startet und dann auch nach Frankfurt, Wien und Southampton kommt.

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