Eine nette Mail habe ich am Wochenende gekriegt, von einem Absender, der sich „Verlosung“ nannte:
Lieber Claus Moser,
Sie haben gewonnen und stehen plus 1 auf der Gästeliste von Musica Antiqua Köln, viel Spaß wünscht
die StadtRevue
Ach, da sag ich aber mal danke. Ich gewinne eigentlich nie was. Normalerweise. Fortuna und ich, wir sind, was das angeht, über eine flüchtige Bekanntschaft noch nicht hinausgekommen, wir grüßen uns mal ab und zu auf der Straße, ein freundliches Nicken, aber mehr ist da nicht, Sie verstehen. Und dann läßt sie mir auf einmal zwei Gästelistenplätze für ein Konzert der Musica Antiqua Köln zukommen, versteh einer die Dame.
Jedenfalls, Musica Antiqua, das nehme ich gerne mit, die sind so ein Mercedes unter den Ensembles Alter Musik: Solide Verarbeitung, perfekte Ausstattung, keine Experimente, man weiß, was man kriegt. Und netterweise hat sich G. bereit erklärt, als „plus 1“ zu figurieren, das fand ich auch sehr schön,man freut sich ja immer, wenn man jemanden dabei hat, der so ein Erlebnis auch zu verkosten weiß.
Als Treffpunkt war das Campi vereinbart, wo ich frierend und zu früh ankam, und natürlich darf man in diesem Laden nicht sitzen, wenn man nur einen Kaffee trinken will, was mir von einem Kellner mit gestelzt-mißmutiger Miene erklärt wurde. Also stand ich, rührte in meiner Tasse und wunderte mich darüber, wie wenig Passanten um diese Zeit auf dem Wallraf-Platz unterwegs sind. Nur ein paar Minuten nach mir flog eine junge Dame durch die Tür („fliegen“ mehr so im Sinne von „dynamisch schweben“, wenn Sie verstehen, was ich meine), schwarze Haare, stolzer Blick und eine Nase, die höfliche Schriftsteller „aristokratisch“ nennen. Diese Nase keck nach oben gereckt, wandte sie sich an den gestelzten Kellner und begehrte das gleiche wie ich (nur mit leicht hessischer Stimmfärbung), nämlich sitzen zu dürfen. Da wurde sie aber genauso abschlägig beschieden. Anders als ich ließ sie sich jedoch nicht beirren, lauerte einen Augenblick, bis der mißgünstige Kellner grad mal nicht hinguckte und breitete dann ihren Mantel gewissenhaft über einem zufällig freien Stuhl aus, um auf diesem Platz zu nehmen und dabei einem benachbarten Gast souverän und solidarisch zuzulächeln. Ein zweiter, zufällig vorbei laufender Kellner wurde mit einer dieser Mienen bedacht, die bedeuten: „Es gibt Menschen, die nennen mein Lächeln und mein Wesen charmant, also sollten Sie jetzt nicht wagen, dem zu widersprechen.“ Was er dann auch nicht tat.
G. kam, wir plauderten, ich achtete nicht mehr auf die wackere Sitzplatz-Erstreiterin, und dann war es auch schon Zeit, loszugehen. Das Konzert fand im Museum für Angewandte Kunst statt, von dem ich gar nicht wußte, dass man da auch Konzerte geben kann, aber eigentlich ist das ja klar, schließlich hat jedes Museum einen Vortragssaal. Der im Museum für Angewandte Kunst verstrahlt den Charme der Aula eines Gymnasiums aus den Sechzigern, und als wir ankamen, war die Atmosphäre auch so ähnlich wie beim Gewusel vor einer Abi-Feier: Lauter Herren und Damen, die sich richtig fein gemacht hatten (weil so oft geht man ja abends nicht mehr weg), ein Büffet mit ein paar vertrockneten Schnittchen und einem guten Rotwein, und als man den Saal betrat, stolperte man beinah über die Musiker, die sich in einer Nische an der Seite versteckt hielten.
Am Anfang hätte man auch denken können, das ganze sei das Konzert einer Jugendmusikschule, sagte G. in der Pause, und da mußte ich ihr recht geben. Als das Ensemble schließlich begann, hatte ich auch ein bißchen das Gefühl, dass es ein paar Takte brauchte, bis die Apparatur so richtig in Gang kam. Dann wurde es aber mit jedem Stück schöner: Den Anfang machte ein Concerto von Giuseppe Valentini, ein schönes, kraftvolles Werk, und vor allem in den Allegro-Passagen war der Klangteppich so dicht und voll, dass man sich warm darin einwickeln konnte.
Dabei war der Raum nicht leicht zu bespielen, die Engländer haben für so was das Wort nondescript: So eine kahle, kalte und langweilige Lagerhalle habe ich diesseits der Garage meiner Eltern lange nicht gesehen. Umso schöner, dass die Musik immer wärmer wurde: Es folgten drei kleinere Concerti, zwei von Telemann (beim zweiten schaltete sich ein grummelnder Basso continuo aus dem Heizungskeller mit ein) und ein kleineres Concerto mit hübschem Vivace von Michele Mascitti.
Das Highlight kam aber nach der Pause: Die Kantate Il pianto di Maria (angeblich ein Händel, aber dank dem schlauen Programmheft wissen wir es jetzt besser: sie ist nämlich von Giovanni Battista Ferrandini), mit der Mezzosopranistin Stella Doufexis. Und siehe da, wer steht da auf der Bühne, ist das nicht … Doch, tatsächlich: Die junge Dame, die sich vorhin bei Campi den Sitzplatz ertrotzt hatte. Und das stolze Lächeln, mit dem sie da ins Publikum schaute, war bestimmt noch deswegen auf ihrem Gesicht.
Aber kaum begann die Musik, war das Lächeln verschwunden, und dann konnte es keinen Zweifel mehr geben: La Doufexis ist eine Große. Il pianto di Maria ist eine große Kantate, pure, kondensierte Traurigkeit durchweht das Stück, und die Wehmut und resignierte Anklage, mit der Doufexis sang war so ergreifend wie eine Totenklage nur sein kann. Das war kein Wutausbruch, kein Aufbegehren, da kommt jemand der Welt abhanden und hat nur noch ein bißchen Kraft für die Frage nach dem Warum, aber ohne wirklich eine Antwort zu erwarten.
Ein großes Konzert, eines von denen, wo man hinterher gar nichts anderes mehr hören möchte, weil man die Klänge so lange wie möglich abspeichern will. Vor allem, wenn man in eine verödete und ausgekühlte Kölner Innenstadt hinausgejagt wird. Und es dort nur noch ein einziges Café gibt, das geöffnet hat. Und auch dort wiederum ein mißgelaunter Kellner lauert. Ach, junger Mann, was wissen Sie denn, was wir grade erlebt haben? „L’ora fatal dal ciel prescritta“, als „per grande orror tremò la terra“! Da kann ihr Feierabend noch ein bißchen warten. Und einen badischen Wein läßt er uns dann doch noch.
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