Textkritische Ausgabe


Jean-Remy von Matt hat eine Mail geschrieben und an einige Blogger geschickt. Die Mail enthält eine Entschuldigung, und einige sagen, damit wäre der Fall erledigt. Aber ich will mich da nicht zum Bier einladen lassen, wenn ich sehe, dass er doch wieder reingespuckt hat. Wenn mir einer die Hand reicht, um mich besser vors Knie treten zu können. Da werd ich stur. Da werd ich zum textkritischen Tier. Absatz für Absatz, Zeile für Zeile.

Liebe Blogger,

Es gibt ja viele Blogger, die finden das nett, wenn einer so im Tonfall der Niedlichkeit daherkommt, aber mir ist diese Umarmungsgeste genau so unangenehm wie das ungebetene Anduzen, das die Kampagne inszeniert. Ich geh da gerne als penibel oder spießig durch, aber die Anrede „liebe“ tausche ich nur mit wenigen Menschen. „Liebe Blogger“: So redet man nicht mit jemandem, den man auf Augenhöhe sehen will. Das heißt: Geh in die Knie, damit ich dich tätscheln kann.

meine Mutter hat mir noch mehr beigebracht

Ich möchte hier mal eine Lanze für die Mütter brechen. Von meiner habe ich nämlich auch einiges gelernt, zum Beispiel, dass ich mich nicht ständig hinter ihrer Kittelschürze verkriechen soll, wenn es darum geht, für meine eigenen Dummheiten grade zu stehen.

Zum Beispiel: Wer einen Fehler macht, sollte sich entschuldigen. Oder auch: Wer austeilt muss auch einstecken können.

Was den ersten Satz angeht, da hat die gute Frau von Matt ja recht, aber bei Satz Nummer zwei hat sie einfach Stuß erzählt. Wer austeilt, muß erst mal treffen können. Und dann gegebenenfalls direkt nachlegen oder schnell weglaufen. Von einer Verpflichtung zum Einstecken kann überhaupt nicht die Rede sein. Im Gegenteil: Wer diesen Satz gebraucht, der kündigt schon mal an, dass er gleich wieder einen austeilen will.

Aber zunächst zu mir und meiner Entschuldigung.

Da sieht man’s ja auch schon: „Zunächst“, sagt er. Die Entschuldigung ist nur ein Punkt auf der Agenda, und wenn wir das abgehakt haben – Anja, machen Sie schon mal die PowerPoints fertig – dann kommen wir zum Kern der Sache.

Es ist mir sowohl klar, dass es das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung gibt, als auch, wie wichtig dieses Recht ist. Es ist mir insbesondere klar, wie viel die Weblogs für die Verwirklichung dieses Rechts tun – vor allem in Ländern, wo Meinungsfreiheit nicht selbstverständlich ist.

Denkblase: „Hierzulande finde ich Weblogs ja eher nervig.“

Insofern tut es mir leid, dass ich dieses Recht unbedacht in Frage gestellt habe. Ich hatte mich halt aufgeregt!

Wer schon mal ein Interview transkribiert hat, weiß, welche Welten in einem „halt“ liegen können. Dieses „halt“ würde ich nicht rausschmeißen, sondern in einem in Stein gemeißelten Sendemanuskript abliefern. „Halt“ – das klingt so beiläufig: Ach Gott, da ist mir halt mal was rausgerutscht. Bei einer Kampagne und einer Diskussion, die schon seit Wochen läuft? Bei der Abfassung eines Newsletters zur internen PR? Wenn ich das glaube, nenne ich es schlampert.

Und eine Mail an meine Mitarbeiter geschrieben, die durch die berechtigte oder unberechtigte Kritik an einer Kampagne, an der sie monatelang hart gearbeitet haben, verunsichert waren und Zuspruch verdient hatten.

Wo steht denn in der Koller-Mail etwas über die monatelange harte Arbeit der Mitarbeiter, abgesehen von dem bißchen „Zeit und Herzblut“ am Anfang? Wo findet sich ein Wort des „Zuspruchs“? Es sei denn, von Matt hält es für eine besonders gute Motivation, wenn man hauptsächlich den Gegner beschimpft.

Vielleicht klang auch etwas Neid auf Euch durch, da die Form von Meinungsäußerung, die ich als Werbetexter seit über 30 Jahren betreibe, alles andere als frei ist: Jedes Wort wird vor der Veröffentlichung lange abgewogen, mit Auftraggebern verhandelt und dann noch repräsentativ auf seine Wirkung getestet.

Neidisch mag er ja sein, aber seit wann geht Werbung als „Meinungsäußerung“ durch? Ach Quatsch, es geht ja nur darum, den Bloggern vor’s Schienbein zu treten: Ja Ihr, Ihr dürft da so rumschmieren. Ich dagegen: „Lange abgewogen“ ist mein Zeug, vorher „mit Auftraggebern verhandelt“ und „repräsentativ auf seine Wirkung getestet“. Wie „lange abgewogen“ „jedes Wort“ wird, wenn man sich „halt“ mal aufregt, das haben wir ja gesehen.

Aber!

Ein Ausrufezeichen wie ein erigierter Zeigefinger.

Auch wenn die meiste Kritik an meinem Text konstruktiv und ernsthaft war, empfinde ich es als kommunikativen Hausfriedensbruch, dass eine interne Mail wie eine Sau durchs Dorf „Kleinbloggersheim“ getrieben wird.

Da hat er doch irgendwo mal so ein lustiges Wort gelesen, wie war das noch, Kleinbloggerhausen, Kleinbloggerfelden, ach nein, und dann rutscht ihm das raus, was logogschon in diversen Kommentaren blankgezogen hat, nämlich er schickt die niedlichen Blogger in die Verwahranstalt: Kleinbloggersheim.

Nun spricht er hier allerdings einen Punkt an, an dem man tatsächlich stutzen könnte: Eine „interne“ Mail ist da veröffentlicht worden, das heißt, will er uns damit sagen, fast so etwas wie eine „private“. Auf den Leim bin ich ihm auch erstmal gegangen, und Jens Scholz hat selbst eingeräumt, dass er „die Veröffentlichung zumindest moralisch wackelig“ findet, und „nicht die feine englische Art“. Ach Gott, als ob eine Polemik fein und englisch daherkommen müßte! Da kann man ihm seine Skrupel ruhig ausreden.

Denn eine „interne“ Mail ist nicht ganz das gleiche wie eine „private“. Ohnehin sind „privat“ und „öffentlich“ nun mal keine entgegengesetzte Pole, sondern allenfalls zwei Enden eines Spektrums, zwischen denen eine ganze Menge Nuancen Platz haben. Ich bin kein Jurist, aber hier ist ja die Moral zur Eideshelferin berufen worden, und da kann man das Pferd auch mal andersherum aufzäumen.

Und zwar so: Wir haben nichts gegen Kritik, sagen die Kampagnenmacher sonst immer, wir wollen ja diskutieren.

Jede Meinung ist willkommen, denn jede Meinung trägt zum Profil von „Du bist Deutschland“ bei.

So steht’s auf der Website, und noch im Dezember hieß es von Koordinator Lars-Christian Cords: „[Die Debatte] ist von uns auch so gewollt und wir stellen uns dieser Diskussion gerne.“ Da finde ich es dann doch ganz interessant, wenn man an internen Mails ablesen kann, wie gewollt eine solche Debatte tatsächlich ist, und wie im internen Jargon über Kritiker hergezogen wird.

Sollte es neben der Freiheit, eine Meinung zu verbreiten, nicht auch die Freiheit geben, eine Meinung nicht verbreitet zu wissen? Gilt beim Artikel fünf des Grundgesetzes nur Absatz eins, der das Recht auf Meinungsfreiheit definiert, und nicht Absatz zwei, der dieses Recht einschränkt, wenn die persönliche Ehre verletzt wird?

Man könnte ja einfach sagen, der beste Weg, eine Meinung nicht verbreitet zu wissen, wäre, sie nicht hinauszuposaunen, schließlich reden wir über Meinungsfreiheit und nicht über Meinungszwang. Meinungen sind nun mal kontagiös, sie verbreiten sich schneller als die Grippe, und ein Medienprofi, der sonst vom viralen Marketing schwärmt, sollte das eigentlich wissen. Die Sprache der Koller-Mail legt nicht gerade nahe, dass es sich dabei um eine im Flüsterton weitergereichte, vertrauliche Botschaft handelt, und ich wage mal die Behauptung, wenn jemand die Geschichte mit der Klowand als guten Witz weitererzählt hätte (schwer vorzustellen, ich weiß, aber tun wir mal so), dann hätte sich von Matt wohl gerne auf die Schulter klopfen und ein „Touché“ zuprosten lassen. Albern ist es aber, den ersten Satz mit dem zweiten zusammenzuspannen und so zu tun, als käme das Weitererzählen einer Meinung des Herrn von Matt einer Ehrverletzung gleich. Es sei denn, er hält überhaupt alles, was er so meint, für ehrenrührig.

Kennt die Blogosphäre etwa keine Privatsphäre?

Kann schon stressig werden, wenn das Wochenende über immer diese Blogs anrufen … Vielleicht sollte man ihm mal erzählen, dass Blogs nicht nur eine, sondern viele Privatsphären kennen. Und man könnte die Frage ja auch umdrehen: Kennt denn die Werbung noch eine Privatsphäre? Gibt es etwas invasiveres, als Kampagnen aus der Volksgemeinschaftsküche ins private Wohnzimmer gespült zu bekommen, oder „Geiz ist geil“ krakeelende Krampfhennen anhören zu müssen? Mir lag da schon so manches Mal eine interne Mail auf der Zunge.

Viele von Euch schreiben, ich hätte mit meiner Mail ein Eigentor geschossen. Okay, eins vielleicht.

Ich könnte da noch einige mehr aufzählen.

Aber wie viele Eigentore schießt ihr gerade, indem Ihr mein Schlagwort „Klowände des Internets“ teils empört, teils genüsslich aufgreift im Sinne eines Agenda Setting verbreitet? Bei Technorati.com war der Suchbegriff zeitweise auf Platz 3!

Wer Sprache nur noch als Werkzeug eines Agenda Setting begreifen kann, dessen Humor- und Ironieverständnis reicht eben maximal nur bis Platz vier der Ignorati-Skala. Alles weitere steht hier unter computer geek. (Oder hierunter Geusen.)

Die Klowand-Debatte erinnert mich übrigens an Münteferings Heuschrecken-Debatte: In beiden Fällen gab es Kritik, dass ein Sachverhalt mit einem plakativen Bild unzulässig verallgemeinert wurde.

Es ist mir eigentlich ziemlich wurscht, woran die Klowand-Debatte Herrn von Matt übrigens sonst noch erinnert, aber der Versuch ist auch zu durchsichtig: So mal kurz über Bande ein paar Soli-Punkte abgreifen, in dem man sich in ein Agenda-Setting einklinkt, dass man in den Blogs für en vogue hält. („Die sind doch alle irgendwie links, oder?“)

Die Heuschrecken waren ein Symbol für das Abgrasen und Weiterziehen. Die Klowände sind ein Symbol für das Anpinkeln und Verpissen – für Meinungsäußerung im Schutz der Anonymität.

Tja, Herr von Matt, wie man anonym anpinkelt und sich verpißt, das weiß man auch in Ihrem Haus, fragen Sie mal Jens Scholz.

Natürlich haben viele Investoren ethisch einwandfreie Ziele. Und natürlich haben viele Weblogs einen ernsthaften Ansatz.

Diesen Vergleich zwischen Investoren und Weblogs muss man sich auch mal auf der Zunge zergehen lassen.

So haben mich die meisten Eurer Beiträge sehr inspiriert und mir die virale Kraft dieser Medienform bewusst gemacht. Vergesst aber nicht, dass auch die Kommentare den Content eines Weblogs bestimmen.

Hab ich eigentlich schon gesagt, wie sehr mich ungefragtes Anduzen nervt? Und keine Angst, den Content meines Weblogs bestimme ich schon selbst, nicht meine Kommentare.

Und vor allem dort habe ich einiges gefunden, was meinem Vorurteil neuen Schub gab: Leute, das war teilweise unterste Klowand!

Unterste Klowand, das ist da, wo die fiesesten Graffiti stehen. Weil man sie da auch am besten sieht.

Aber wie sagte noch mal meine Mutter: Wer austeilt, muss auch einstecken können. Euer Jean-Remy von Matt

Mit neuem Schub vor die unterste Klowand. Leute, das ist teilweise ein Fachmann. Ein Austeiler und Einstecker, der noch auf seine Mutter hört. Unser Jean-Remy. Matt.

3 Antworten

  1. […] In der Zwischenzeit gibts eine textkritische Analyse von Claus Moser in seinem Blog. Lesebefehl! Und Technorati war gerade tatsächlich für einige Minuten down, weil zuviele Suchanfragen bearbeitet werden mussten. Soso. […]

  2. Betr.: Unser aller Jean-Remy von Matt, oder „Remy-Demy vom Mattsch inne Birne“.

    Ich finde dem Mann wird entschieden zu viel der Ehre angetan, wenn man sich mit seinen Ergüssen ernsthaft auseinandersetzt.
    Wie kann man jemanden ernst nehmen, der verantwortlich ist für diese neoliberale, menschenverachtende DbD-Kampagne und anschleißend dreist und verlogen genug ist zu behaupten er sei noch immer ergriffen wenn er sich diese Spots ansieht?
    Die einzige Ebene auf der man sich mit ihm auseinandersetzen könnte ist seine eigene, eben diese:
    Jean Remy von Matt (Remy-Demy vom Mattsch inne Birne) Brief an die Mutter

    Nachzulesen auf Fettisch.de – voll Fettisch!

  3. Genial zerpflückt, herzlich gelacht über clever Textanalyse!
    Hier mein Beitrag, „deppensicher Anleitung zur Kommunikation mit Klowänden“
    http://deppensicher.blogspot.com/
    Grietinx aus AT
    eliZZZa

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