Das bißchen, was ich lese, kann ich mir auch selber schreiben


Jean Pauls Schulmeisterlein Wutz hat ein besonderes Hobby:

Der wichtigste Umstand […] ist nämlich der, daß Wutz eine ganze Bibliothek – wie hätte der Mann sich eine kaufen können? – sich eigenhändig schrieb. Sein Schreibzeug war seine Taschendruckerei; jedes neue Meßprodukt, deren Titel das Meisterlein ansichtig wurde, war nun so gut als geschrieben oder gekauft: denn es setzte sich sogleich hin und machte das Produkt und schenkt‘ es seiner ansehnlichen Büchersammlung, die, wie die heidnischen, aus lauter Handschriften bestand.

Das ist natürlich ein gute Idee, denn nicht nur spart man viel Geld, wenn man die Bücher, die man gerne hätte, gleich selber schreibt, und außerdem sind die Texte im Zweifel ohnehin viel besser als das, was in den Meßkatalogen grade so angesagt ist. Der Einwand, dass man es wohl kaum schaffen dürfte, jedes neue Buch in den Katalogen selbst zu schreiben, zieht nicht, weil das meiste, was in den Katalogen steht, bequem in zehn Minuten zusammengefasst werden kann.

Wutz jedenfalls hat keinen Zweifel an der autoritativen Qualität seiner Texte:

Da er einige Jahre sein Bücherbrett auf diese Art voll geschrieben und durchstudieret hatte, so nahm er die Meinung an, seine Schreibbücher wären eigentlich die kanonischen Urkunden, und die gedruckten wären bloße Nachstiche seiner geschriebnen; nur das, klagt‘ er, könn‘ er – und böten die Leute ihm Balleien dafür an – nicht herauskriegen, wienach und warum der Buchführer das Gedruckte allzeit so sehr verfälsche und umsetze, daß man wahrhaftig schwören sollte, das Gedruckte und das Geschriebene hätten doppelte Verfasser, wüßte man es nicht sonst.

Die Wutzischen Bücher sind vermutlich amüsanter als die Originale, denn an anderer Stelle heißt es, dass das Schulmeisterlein, als es einmal den Auftrag erhält, unverständliche Texte zu schreiben, dem nur nachkommen kann, indem es die Schreibfedern so zerschneidet, dass die Texte wenigstens unleserlich werden.

In der Selbstzufriedenheit mit der eigenen Produktion, und dem Unwillen, die gedruckten Texte auch nur als gleichberechtigt neben der eigenproduzierten literarischen Realität gelten zu lassen, könnte Wutz auch fast schon als prototypischer Blogger durchgehen. Wer braucht schon totes Holz, wenn man sich die Wahrheit selbst zusammenpixeln kann.

Ein literarischer Nachfahre des Wutz hat da ein nicht minder ehrgeiziges Projekt: Pierre Menard, von dem Jorge Luis Borges in seinen Fiktionen erzählt, will den Don Quijote nachschreiben. Und zwar exakt so, wie Cervantes ihn vorgelegt hat:

Er wollte nicht einen anderen Quijote verfassen – was leicht ist – sondern den Quijote. […] Sein bewundernswerter Ehrgeiz war es, ein paar Seiten hervorzubringen, die – Wort für Wort und Zeile für Zeile – mit denen von Miguel de Cervantes übereinstimmen sollten.

Das ist ein wesentlich komplexeres Unterfangen als sich nur von ein paar Meßkatalogen inspirieren zu lassen, zumal Menard sich die Aufgabe noch zusätzlich kompliziert macht:

Auf irgendeine Art Cervantes zu sein und zum Quijote zu gelangen, erschien ihm weniger schwierig – infolgedessen auch weniger interessant – als weiter Pierre Menard zu bleiben und durch die Erlebnisse Pierre Menards zum Quijote zu gelangen.

Es wird ihm nicht gelingen – schon deshalb, weil einiges passiert ist, seit Cervantes mit der Abfassung des Quijote begonnen hat. Nicht zuletzt die Fertigstellung des Quijote. Über mehr als zwei Kapitel und ein Fragment kommt Menard denn auch nicht hinaus.

Und dennoch, ähnlich wie bei Wutz, der seine private Klassiker-Bibliothek zum Kanon setzt, wird auch bei Borges die Wirklichkeit umgestülpt – freilich nicht für Menard, sondern für die Leser:

Soll ich gestehen, daß ich mir vorzustellen pflege, er hätte es vollendet und daß ich den Quijote – den ganzen Quijote – so lese, als hätte Menard ihn erdacht? Als ich vor ein paar Abenden im Kapitel XXVI blätterte – das er nie in Angriff genommen hat, erkannte ich den Stil unseres Freundes und beinahe seine Stimme […].

Die „Technik des vorsätzlichen Anachronismus“ nennt Borges das, und bezeichnet es als eine „neue Kunst des Lesens“: Warum nicht so tun, als sei ein Buch, das man vor sich hat, nicht von dem, der als Verfasser außen drauf steht, sondern von einem anderen? „Diese Technik belebt die geruhsamsten Bücher mit Abenteuer“, schreibt Borges.

Und das gilt nicht nur für’s Lesen, sondern auch für’s Schreiben. Wer bloggt, stürzt sich mit einem Pappschwert in’s Getümmel und erfindet nebenher ein Dutzend Mal das Rad auf’s Neue. Und wenn schon. Das Rad ist ja keine dumme Erfindung.

Denn wie sagt Menard: „Jeder Mensch muß aller Gedanken fähig sein, und ich bin sicher, daß er es eines Tages sein wird.“

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