Das Dorf liegt dort, wo die Hügel der Ville langsam ausrollen in das Plateau der Kölner Bucht. Die alten Häuser, die man hier noch vereinzelt findet, sind meist niedrig gebaut und schmiegen sich in die letzten Ausbuchtungen der Hügelkette, damit sie sich besser unter dem Wind wegducken können. Am höchsten Punkt des Dorfes hat man noch einmal zusätzlich eine Erhebung aufgeschüttet und darauf eine Windmühle gesetzt. Sie spannt ihre Flügel in den grauen Frühlingstag, als wollte sie das hingekauerte Dorf noch mal zusätzlich einschüchtern.
Es scheint, als ob man das Wegducken hier verinnerlicht hat. Wenn man über den Dorfplatz geht, hat man das Gefühl, von den Menschen zwar nicht beobachtet, aber mit einer Art gespannter Aufmerksamkeit wahrgenommen zu werden. Schaut man ihnen dennoch ins Gesicht, begegnet man einem skeptischen Blick, als ob sie sagen wollten: Sprich mich bloß nicht auf diese Sache an.
Diese Sache, das ist die Aktion, die der Künstler Santiago Sierra in der ehemaligen Synagoge des Dorfes durchführen wollte, die nun aber nach heftigen Protesten ausgesetzt worden ist. Sierra wollte Sonntag für Sonntag Autoabgase in die Synagoge leiten lassen. Die Aktion sollte, sagt Sierra, ein Statement gegen die Banalisierung der Erinnerung sein und widmete sie ausdrücklich den Opfern des Holocaust.
Nun hätte ihm vielleicht auffallen können, dass es möglicherweise viel eher einer Banalisierung des Gedenkens gleichkommt, wenn man so ein Szenario als echt authentischen Kick inszeniert. Da ist dann höchstens etwas über einen Kulturbetrieb ausgesagt, der solche Rummelplatzattraktionen braucht, um sich das vorzustellen zu können, wozu die eigene Vorstellungskraft nicht mehr ausreicht.
Die Widmung wurde jedenfalls zurückgewiesen, und das zu recht, mehr noch: Es gab erbitterte Proteste, aus den jüdischen Gemeinden, von Holocaust-Opfern, aber auch von anderen Seiten. (Nebenbei: Die vernünftigsten Statements zu dieser Geschichte kamen von Schlingensief.)
Es gab einige Arbeiten von Sierra, die ich durchaus interessant fand. Der Pavillion auf der Biennale von Venedig, wo Security-Leute nur Besucher mit spanischem Pass reinließen und selbst prominente Honoratioren draußen bleiben mußten, war eine intelligente Provokation, ebenso die Aktion 300 Tonnen, als er fast genau dieses Gewicht auf dem Dach des Kunsthauses in Bregenz platzierte und damit Risiko und Kunst unter einer ganz besonderen Belastungsprobe zusammenführte.
Schon weniger gelungen fand ich seine Spielchen mit Junkies und Prostituierten. Da schlägt das kindliche Staunen darüber, was man Menschen alles machen lassen kann, schnell um in eine Komplizenschaft mit denen, die das eh schon lange wissen und viel effizienter praktizieren. Und dann ist man nicht mehr als eine weitere Skandalnudel im Kunstbetrieb, so eine Art Stefan Raab fürs Feuilleton.
Ob man ihn darum nach Stommeln geholt hatte, weiß ich nicht. Wenn ich mir das Interview mit den beiden Kulturamtsleitern anschaue, das im Stadt-Anzeiger erschien, als der Wirbel grade hochkochte, dann muss habe ich eher das Gefühl, dass man sich eigentlich nicht so richtig viele Gedanken darüber gemacht hat, was so ein Projekt eigentlich alles auslösen könnte. Und als die Welle der Entrüstung dann über Stommeln dahinschwappte, hätte man es am liebsten so gemacht wie die Häuser ringsherum und sich irgendwie weggeduckt. Leider ist das Interview online nicht mehr auffindbar, sonst könnte man die Bilder noch sehen, die der Fotograf des Stadt-Anzeigers gemacht hat von den beiden Kulturbeamten. Da standen sie und schauten unsicher in die Kamera, als ob sie am liebsten durch die Tür im Hintergrund wieder verdrückt hätten. Und leider kann man den Text auch nicht mehr lesen, was aber vielleicht auch nicht so schlimm ist, denn eigentlich stand ja nur das drin, was dann immer gesagt wird in solchen Situationen: Das haben wir ja gar nicht gewollt, damit war doch gar nicht zu rechnen, wenn wir das gewußt hätten. Vermutlich weil man das nicht geahnt hatte, lief die Produktion bis zum Tag der Eröffnung auch unter völliger Geheimhaltung.
Das ist, wenn man so will, das einzige, was ich an Sierras Projekt noch aufzeigenswert finden würde: Was man ein Kulturreferat alles machen lassen kann. Und dort war man darum möglicherweise sogar erleichtert, das Ganze abblasen zu können. Vielleicht ist Sierra oder jemandem im Kulturamt auch einfach aufgegangen, dass man mit so einem plumpen Spektakel eh nicht ankommt gegen die Banalisierungen, die in der realen Welt längst im Gange sind.
Neben dem Zugang zur Synagoge steht ein Haus, das heißt Süße Ecke. Und da hängt dieses Plakat neben der Tür, genau um die Ecke vom Schaukasten der Synagoge:
Aktuelle Erinnerungskultur für 99 Cent das Stück. Billiger macht’s der Sierra bestimmt nicht.
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Nachtrag: Das Interview mit den Pulheimer Initiatoren des Projekts ist doch noch online.
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