Es ist heiß in Siena, als wir ankommen, nach fast zwei Stunden Busfahrt über die Superstrada, vorbei am Dörfchen Montaperti. Da verengt sich die Straße zum Nadelöhr, weil hier seit zehn Jahren gebaut wird. Auf etwa fünf Kilometer sieht man lediglich einen einzigen Bauarbeiter, der etwas Bauschutt mit einer Planierraupe wegrämt.
Vielleicht ist das zögerliche Vorankommen der Bauarbeiten noch eine späte Schikane der toskanischen Regierung in Florenz, weil die Senesen bei Montaperti einmal die Florentiner geschlagen nahmen, unter Zuhilfenahme deutscher Ritter und der Muttergottes. Der Jungfrau Maria gehört seither die Stadt, und darum gibt es jedes Jahr den Palio dort, der damit im Grunde kein Sportereignis ist, sondern eine Messe in Form eines Pferderenens. Darum wird jeder Senese, ob geboren oder eingewandert, den Palio gegen alle Anfeidungen von aussen verteidigen, vor allem gegen deutsche Schilderungen, die ihn als ein mehr oder weniger sublimiertes Pendant des spanischen Stierkampfs ausmalen wollen. „Wenn Sie den ADAC Reiseführer dabei haben, wir haben hier Papierkörbe aufgestellt, wo Sie den ablegen können“, sagt der Stadtführer, dessen heiliger Zorn über die reißerische Darstellung des Palio, die sich darin findet, auch zwei Straßenecken weiter nicht abkühlt.
Siena mag viele Touristen anziehen, aber wenn man sich das Gros der europäischen Wirtschaftsgeschichtsschreibung anguckt, dann ist es eher die vergessene Stadt. Die Anfänge der Marktwirtschaft läßt man eher in Florenz stattfinden, obwohl das Bankenwesen, das Siena so groß gemacht hat, erst viel später dort seinen Aufstieg erlebt. Zuvor schauten die Florentiner eher neidisch auf die kleine Stadt mitten in den trockenen Hügeln der Crete, wo es keinen Fluß gibt, dafür das Geld in Strömen floss. Darum mußte von Florenz aus auch alles unternommen werden, um diese reiche Nachbarstadt in die Knie zu zwingen. Was hat man nichts alles unternommen: Die Stadt belagert, den Papst veranlaßt, sie in den Bann zu nehmen, aber erst die Pest machte dem Glanz von Siena wirklich den Garaus. Aber nicht dem Stolz: Das sieht man spätestens dann, wenn wieder Palio ist. Oder wenn die Sprache auf Montaperti kommt.
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