Die Skulptur ist die größte aller Künste, sagt Cellini, sie ist sieben Mal größer als die Malerei, weil sie nicht nur eine, sondern acht Ansichten bieten muss, und jede davon hat brilliant zu sein. Das Beste ist nur gut genug für die Medici, denen es im 16. Jahrhundert gelingt, ihre Macht endgültig zu festigen und die republikanischen Projekte der Florentiner ins Reich der Utopien zu verbannen. Angekommen im Hochadel sind sie schon längst, sie haben Päpste gestellt, ihre Kinder heiraten die Kinder von Königen und Kaisern. Macht und Glanz wollen gefeiert werden, und das in Bildern, die unmissverständlich sind, und die doch ein Problem lösen müssen: Denn die Herrschenden sind gleichzeitig Tyrannen und Narzißten, sie möchten von den Zeitgenossen gefürchtet werden und von der Ewigkeit geliebt.
Wer die Rechnung mit der Ewigkeit machen will, muss sich an Vorbildern orientieren. Und schafft sich damit ein weiteres Problem: Wer den Vorbildern einfach nur nacheifert, bleibt immer in ihrem Schatten. Man muss sie übertreffen und besser sein. Aber wie kann man übertreffen, was schon perfekt ist? Wie kann man besser sein als ein Michelangelo, dessen Statuen als Inbegriff von Harmonie und Vollkommenheit gelten?
Aus dieser Fragestellung heraus entsteht der Manierismus, die erste Kunstrichtung, die Europa fast zeitgleich und umfassend bewegt. Es hat etwas Kurioses, dass ausgerechnet in einer Zeit, wo sich in der politischen Landschaft die Verhältnisse allmählich stabilisieren, in der Kunst die Dinge wieder in Bewegung geraten und überall dort, wo die Renaissance auf Ordnung, Dauerhaftigkeit und Autoritäten bauen wollte, wieder kleine subversive Attacken gegen diese Ordnungsprinzipien geführt werden. Die figura serpentina, die gewundene Gestalt, ist das neue Ideal: Schönheit ist nicht mehr statisch, sondern dynamisch. Ein schöner Körper ist immer noch ein wohlproportionierter Körper. Aber die Proportion wird nicht mehr betont, sondern in der Eleganz der Bewegung aufgelöst.
Die Herrschenden der Zeit lassen sich nur zu gern in solchen ambivalenten Spielereien verherrlichen. Es nimmt der Macht das Monströse und Bedrohliche, aber nicht die Autorität. Der Meister dieses Spiels zwischen der Statik und ihrer Subversion, zwischen monumento und movimento ist Giambologna. Er ist ein Ausländer, er stammt aus Flandern, und auch das ist ein Trend, der jetzt typisch wird, denn die stabileren politischen Verhältnisse bringen auch die Menschen in Bewegung. Flandern war schon zuvor die einzige europäische Region, denen die toskanischen Künstler so etwas wie einen gleichwertigen künstlerischen Rang zugebilligt haben, spätestens seit die Medici die Gemälde eines Hugo van der Goes nach Florenz brachten.
Früher reisten die Gemälde, jetzt tun es die Künstler selbst, und damit kommen neue Anschauungen ins Land und überhaupt die Idee, die Dinge nicht nur von einem Anschauungspunkt her zu definieren, sondern mehrere Blickwinkel zuzulassen. Giambologna macht das mit einer neuartigen Radikalität: Er verkeilt und verdreht die Gestalten in seinen Werken, bis man kaum noch erkennen kann, wo eine anfängt und eine andere aufhört. Die möglichen Perspektiven sind unzählbar, fast jede läßt das Bild neu erscheinen.
Dazu ist es notwendig, auch die Anordnung und Hierarchie der Figuren aufzulockern und über die Schwere und Monumentalität des Materials – immerhin arbeitet er in Bronze und in Marmor – hinwegzutäuschen. Nirgendwo kann man das besser in Augenschein nehmen als auf der Piazza della Signoria in Florenz. Der Raub der Sabinerinnen in der Loggia ist das exemplarische Sujet: Es geht um die Darstellung einer Gewalttat, aber von Überwältigung und Grausamkeit ist bei Giambologna fast nichts mehr zu merken. Die Verzweiflung der Opfer wird dadurch aufgelöst, dass sie die Klammer für den Täter bilden, ihre Körper verschmelzen mit seinem und die Brutalität der Aktion zerfliesst in einer fast gelösten Erotik. Besser kann man den Herrschaftsanspruch der Medici nicht erfassen, höchstens noch in der fast postkoitalen Entspanntheit, in der Cosimo I. hoch zu Ross seines Reiterstandbildes sitzt: Der hat es nicht mehr nötig, um seine Macht zu kämpfen, und trotzdem kann es keinen Zweifel daran geben, wer hier auf dem Platz das sagen hat.
Man kann verstehen, dass die Medici so ein Talent nicht auf dem europäischen Markt herumlaufen lassen: Cosimo holt Giambologna nach Florenz, er wird sein ganzes Leben lang im Auftrag der Medici arbeiten. Wie am Fließband wird seine Werkstatt die Wunderkammern und Mitgifttruhen der Familie bevölkern.
Die Verbindung zu den Medici sorgt für eine stabile Auftragslage. Gerne verschenken die Großherzöge Werke aus seiner Fabrikation, und schnell wird sein Name in ganz Europa berühmt. Aber er kann nichts daraus machen: Für andere Auftraggeber darf er nicht arbeiten, die Medici wollen das Bild, das er von ihnen und ihrer Macht entwirft, ganz für sich haben. Und Giambologna ist kein guter Manager: Er lebt aufwändig, die Gläubiger werden aufdringlich. 1.500 Scudi erbettelt er sich als monatliche Rente: Dann würde man ihn nicht mehr belästigen, schreibt er, und dann müsse er sich
nicht mehr schämen, dass ich es nicht vermocht habe, in so viel Zeit mit so viel Arbeit mein Leben voranzubringen, während ich zur gleichen Zeit sehen muss, wie meine Angestellten und Schüler mit dem, was sie bei mir gelernt haben und von meinen Modellen, seit ihrem Weggang von mir zu Reichtum und Ehren gekommen sind, und mir scheint, dass sie über mich lachen.
Aber er traut sich auch nicht wegzugehen, er hat Angst davor, irgendwo noch mal neu anfangen zu müssen und den Rivalitäten und Intrigen zum Opfer zu fallen, die an anderen Höfen lauern könnten.
Also bleibt er in Florenz, bis zu seinem Tod im Jahr 1608. Seiner Popularität tut das keinen Abbruch: Die Kopien seiner Statuen sind begehrt wie heutzutage Panini-Sammelbildchen von Fußballern (um die Repubblica zu zitieren). Um den Nachruhm muss er sich keine sorgen machen: Da wo er ist, fühlt er sich am richtigen Platz, nämlich als „Nachfolger der Großen der Renaissance“ und das auch noch in deren eigenem Haus.
Erstaunlicherweise hat es eine halbe Ewigkeit gedauert, bis in Florenz ein Ausstellung organisiert werden konnte, die einen umfassenden Einblick in das Werk dieses Johann aus Boulogne (der eigentlich aus Douai kam) erlaubt. Noch bis zum 15. Juli läuft im Bargello die große Werkschau unter dem Titel Giambologna: gli dei, gli eroi, und anschließend wird sie – zumindest ein großer Teil davon – nach Wien weiterziehen.
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