Der Radsport war schon immer ein Metier für Gladiatoren: Das Radfahren ist eine der ältesten Disziplinen, die professionell betrieben werden, eine romantische Phase unschuldigen Amateurtums hat es darum eigentlich nie gegeben. Wenn man vom Radsport-Zirkus spricht, dann ist das nicht nur eine leere Floskel: Männer, die sich der Landstrasse ausliefern und auf ihren Expeditionen Übermenschliches leisten – das lässt sich mit viel Spektakel, Romantik und Sensation aufladen. Und weil die Geburt des Radsports zusammenfiel mit ein paar anderen Phänomenen der Mobilität, dem Tourismus beispielsweise oder dem scheinbar wesensfremden Autofahren, hat das Marketing, dessen Entstehung ja eigentlich auch in der selben Zeit zu datieren ist, die Radsportler immer ganz gerne umarmt.
Das muss man so ein bißchen im Hintergrund haben, wenn man sich durch die aktuellen Doping-Diskussionen in der Radsport-Gemeinde wühlt. Dieser Sport war immer schon kommerziell, und damit gab es auch immer schon die Versuchung, sich mit allen denkbaren Mitteln an die Fleischtöpfe zu hangeln. Vielleicht liegt es daran, dass das Unrechtsbewusstsein in der Szene nicht übermäßig groß ist. Am Wochenende haben die spanischen Rad-Profis die Landesmeisterschaften boykottiert, nicht aus Protest gegen die Teams, deren vermutete Doping-Praktiken zur Zeit untersucht werden, sondern aus Verärgerung über die Presseberichte darüber.
Insofern ist die Resignation, die Daniel Baal, der Präsident des französischen Radsport-Verbandes, im Interview mit Le Monde äußert, fast schon naiv zu nennen.
Ich gehörte 1999 zu denen, die von der Tour der Erneuerung gesprochen haben. Wir sind getäuscht worden, zutiefst getäuscht. Besonders ernüchternd ist der Umstand, dass einige sich immer noch weigern, der Wirklichkeit ins Gesicht zu schauen: Die Organisatoren, die Teamleiter, die Verantwortlichen und die Fahrer, die sich zum Büttel machen lassen für diejenigen, die schummeln.
Aber so ist es eigentlich immer gewesen im Radsport. Und wenn Baal dessen Zustand als „katastrophal“ bezeichnet und der Tour jeden sportlichen Wert abspricht, dann demonstriert er zwar redliche Empörung, aber er übersieht dabei einen wichtigen Aspekt: Der sportliche Wert ist bei Radrennen nie das zentrale Element gewesen. Das kann man ja schon bei Roland Barthes nachlesen: Radrennen sind epische Veranstaltungen, die sich über die Geschichten definieren, die sie erzählen. Ein Etappensieg ist nicht in erster Linie ein sportlicher Erfolg, sondern der Triumph eines Helden oder seines Kontrahenten, und errungen wird er auch mit Ellbogen, Tricks und Finten. Fahrer wie Virenque oder Pantani haben darum immer noch ihre Gemeinde, und auch ein Ullrich wird seine behalten, selbst wenn jetzt tatsächlich noch der Super-Gau eintreten und er aus der Tour geworfen werden sollte.
Klar, epische Qualitäten haben auch andere Sportveranstaltungen, aber sie haben meist länger gebraucht, um diesen Charakter des Spektakels zu entdecken und offensiv nach außen zu tragen. Eine „Katastrophe“ könnte der Tour nur dadurch drohen, das solche Geschichten mal von anderen besser oder wirksamer erzählt werden, dass man also in der globalen Aufmerksamkeitsökonomie auf hintere Plätze rutscht. So eine epische Mischung aus Archaik und Mechanik, aus Multimedia-Zirkus und romantischer Rundreise muss man aber erst mal hinbekommen.
Außerdem: Für die Teilnahme am TV-Marathon muss man sich ja auch nicht dopen. Zumindest gibt es hinterher keine Kontrollen.
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