Simonskall


Simonskall
Man könnte Simonskall idyllisch finden: Ein kleines, tief eingeschnittenes Tal mit dichten Wäldern ringsherum, ein kleiner Bach plätschert gemütlich hindurch, ein paar alte Mühlengebäude liegen zu Füßen einer kleinen Kappelle. Ein dicker alter Mann jagt, nur mit einem blauen Arbeitsoverall bekleidet, einem kleinen Schaf hinterher. In den Cafés am Ort gibt es Streuselkuchen mit Rhabarber, demnächst ist wieder Nordic-Walking-Treff.

Das Idyll ist aber nicht der Grund, warum ein Bus voll mit amerikanischen Touristen hier eingetroffen ist. Es sind etwa dreißig, fast alles ältere Damen und Herrschaften. Von den Männern sind einige möglicherweise schon mal hier gewesen, jedenfalls gestikulieren sie so bestimmend in der Luft herum, dass allen anderen in der Gruppe klar sein muss: Die kennen sich aus hier.

Ihr letzter Aufenthalt ist schon einige Zeit her, vermute ich, und damals war das kleine Tal, an dessen Anfang Simonskall liegt, alles andere als ein Idyll: Im November 1944 wurde hier erbittert gekämpft. Die amerikanischen Truppen hatten sich auf ihrem Vormarsch nach Osten festgefräst, im unübersichtlichen Terrain der Eifelausläufer nutzte ihnen ihre zahlenmäßige Überlegenheit nichts mehr, schon gar nicht gegen fanatisierte deutsche Einheiten. Die Frontlinie verschob sich hier nur noch meterweise, in manchen Dörfern wechselte die Besatzung mehrmals am Tag. Sofern man die Ruinenfelder, in denen sich Deutsche und Amerikaner unter Beschuß nahmen, überhaupt noch als Dörfer bezeichnen konnte.

Wie viele auf den wenigen Quadratkilometern, die dieses Tal umfasst, gestorben sind, ist umstritten: Es gibt die Behauptung, dass es 70.000 gewesen sein sollen, davon allein 55.000 auf amerikanischer Seite. Manche sagen, dass mehr amerikanische Soldaten hier gefallen sind als in Vietnam. Die offiziellen Angaben der US-Armee sind niedriger, aber sicher ist, dass die Zahl der Toten mindestens der Einwohnerzahl einer mittelgroßen Stadt entspricht. Jedes Jahr werden immer noch im Schnitt sieben Leichen gefunden, und wenn hier ein Haus neu gebaut wird, muss erst mal der Kampfmittelräumdienst anrücken und das Baugelände absuchen, ob nicht eine der über zwei Millionen Minen, die hier in der Gegend noch vermutet werden, darauf liegt.

Dabei war das Terrain strategisch allenfalls von untergeordneter Bedeutung. Warum sich die Amerikaner auf diesen blutigen Stellungskrieg eingelassen haben, kann selbst die offizielle Militärgeschichtsschreibung nicht mehr so genau sagen. Ursprünglich ging es wohl mal darum, eine Bresche in die deutschen Linien zu schlagen und vor allem die zahlreichen Stauseen hier zu sichern und damit zu verhindern, dass die Deutschen die Täler fluten und den weiteren Vormarsch verhindern könnten. Das Ziel hat man im Dickicht der Wälder und im Morast und der Kälte des Winters aber irgendwann aus den Augen verloren.

Das Grauen ist lange her, inzwischen ist es längst Bestandteil des touristischen Marketings geworden. Die amerikanischen Touristen sind die letzten einer Generation, die die Ereignisse tatsächlich noch miterlebt hat, und wer weiß, wieviel davon noch in ihrer Erinnerung sitzt. Die nachfolgenden Generationen kennen die Schlacht im Hürtgenwald bestenfalls aus ein paar Computerspielen. Die Wanderkarten des Simonskaller Verkehrsvereins schlagen zwar einen „Pfad des Gedenkens“ vor, aber wenn die Zeichen des Krieges unbedarfterweise als „Attraktionen auf ihrem Weg“ angekündigt werden und naiv nachgefragt wird: „Hat ihnen der Weg gefallen?“, dann merkt man, dass die Erinnerung verblasst und nur noch der Grusel zurückbleibt.

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