Arno Schmidt in Marbach


Schiller-Nationalmuseum

Das Neckartal ist eine Landschaft von einer fast penetranten Beschaulichkeit. Wenn man sich hier umschaut, ahnt man, warum im Schwäbischen die Niedlichkeitsform das grammatisch herausragende Merkmal ist: Lauter Bergle, zwischen denen sich ’s Flüßle durchschlängelt, ab und an mal überspannt von einem Brückle, über das gelegentlich ein Bähnle hinwegrumpelt. Man darf sich nicht zu lange in den Anblick dieser Gegend versenken, sonst wird man gemütlich, schlotzt sein Viertele, hält „Mr ka’s esse“ für ein Kompliment und sagt „I zwing’s nimmer“, wenn man satt ist. Nett hier. Aber was will man eigentlich in Baden-Württemberg?

Es ist ja schon ein bißchen komisch, dass die erste größere Ausstellung zu Arno Schmidt ausgerechnet hier, in dieser gutbürgerlichen Bilderbuchbetulichkeit, stattfindet. Und dann auch noch im Schiller-Nationalmuseum: Den konnte er doch sowieso nicht leiden. Schon gar nicht die staatstragende Inszenierung von Kultur, die solche Orte vorspielen. Lieber bastelte er an seinem eigenen Kanon, nicht ohne die Heiligen, die er da installierte, gleich wieder als Pappkameraden zu demaskieren.

Andererseits: Als das Deutsche Literaturarchiv mal nachfragte, ob es Manuskripte und Briefe von ihm erwerben könnte, war er schon geschmeichelt:

Für einen berufenen Schund= und Schmutz=Autor wie mich ist es sicherlich keine schlechte Perspektive, wenn seine Manuskripte unweit von denen des großen Friedrich Schiller liegen werden, gleich wenn man reinkommt rechts. Morgen gehen die ersten Kartons dorthin ab.

Also sind Marbach und das Schillermuseum doch kein so unpassender Ort. Zumal das Museum von außen gar nicht wie ein weihevolles Dichter-Walhalla wirkt, sondern mehr wie ein neobarockes Kurhaus oder ein ländliches Lustschloß. Vielleicht, weil das Gebäude ursprünglich gar nicht als nationaler Kulturtempel gedacht war, sondern die schwäbischen Dichter feiern sollte. Nebenan hat man jetzt das Literaturmuseum der Moderne gebaut, das schon ein bißchen offensiver eine postmoderne Tempelarchitektur aufruft, aber dabei im Format einer kleinstädtischen Schulturnhalle steckenbleibt. Dieser Dialog von Provinzialität und Pathos paßt dann doch ganz gut als Rahmen für einen Autoren, der selbst in die Provinz ging, um da an seiner eigenen Version von Weltliteratur zu arbeiten.

Wobei man in der Austellung selbst aber nicht mehr viel merkt von dem Ort, an dem man sich befindet. Höchstens noch im Eingangsbereich, wo der Schriftzug „Arno Schmidt? Allerdings!“ ironisch über Schillerbüste und Stuckverzierungen geworfen wird. Alles andere ist komplett umgebaut und in Kulissen eingehüllt worden, als wollte man damit Autonomie und Unabhängigkeit des Werks betonen. Selbst da, wo die Ausstellung Bezug nimmt auf die Gegebenheiten des Orts, scheint das eher aus praktischen Gründen geschehen zu sein als darum, ein kon Gespräch mit der Umgebung einzuleiten: Vor allem beim „pornographischen Lachkabinett“, einem Peep-Show-Rondell, das rund ums Treppenhaus des Museumsturms gebaut ist. Das Rondell ist mit rotem Samt verkleidet und hat kleine Nischen, in die man den Kopf stecken kann, worauf eine Lichtschranke kurze Lesungen erotischer Passagen aus Schmidts Werk auslöst. Es ist außerdem die Hülle für den Aufgang zum Turm: Unter dessen Kuppel sitzt man wie die Patienten in der Atemkammer eines Sanatoriums für Bronchialerkrankungen, um einem Dauervortrag ganz anderer Stellen zuzuhören, nämlich von Zitaten, in denen Schmidt „ich“ sagt (während immer wieder einige erotische Fetzen aus den Kabinettsnischen nach oben dringen).

Dieses Rendezvous von Sex und Subjekt ist einer der cleversten Momente in der Ausstellung. Und da merkt man dann auch, dass das Abstrahieren der Räume darinnen vom Raum drum herum eine gute Idee ist. Es geht schließlich darum, Zugänge zu einem Autor zu bieten, der die Distanzierung von der Umwelt selbst inszeniert hat (aber nur so weit, um sie immer noch durchs Fernglas betrachten zu können) und auch die Musealisierung seines Werks eigenhändig einleitete. Es ist also völlig ausreichend, als Ausgangspunkte erst mal das anzubieten, was da ist. Da gibt es nun wirklich eine Wundertüte zu entdecken, und es gehört zu den schönsten Seiten der Ausstellung, das Spannungsverhältnis zwischen Zufälligkeit und Systematik, zwischen gutbürgerlicher Ordnungswut und anarchischem Chaos beizubehalten, das auch im literarischen Werk Schmidts spürbar ist.

Da steht man vor den mythischen Zettelkästen und stellt fest, dass die auch nicht anders aussehen, als die heimgewerkerten Holzkisten, in denen mein Großvater sein Werkzeug aufbewahrte, und die winzigen Papierchen darin auch nichts Besseres sind als die Freßzettel, die bei uns neben dem Telefon lagen. Man schaut sich die ausgesägten und handbeschrifteten Stücke aus seiner Schreibtischplatte an und fragt sich, ist das nun rührend oder grandios, wie hier jemand versucht, noch die armseligsten Fragmente seines Lebens zu strukturieren und zu Reliquien zu erheben?

Sehr schön auch die beiden Räume, in denen Schmidts Dias zu sehen sind: Auch hier wieder der Widerspruch von zufälligem Finden und gezielter Inszenierung, was durch den Kontrast mit den selbstgezeichneten und akribisch genauen Landkarten und Stadtplänen noch verstärkt wird.

Und dann ist da dieses Fernsehinterview zu Karl May: Die Souveränität und entspannte Arroganz, vor allem aber: dieses unnachahmliche Hochziehen der rechten Augenbraue, mit dem Schmidt seine Thesen erläutert, das muss man gesehen haben.

Man kann sich über einige dekorative Details ärgern, oder die Aufbereitung der biographischen Versatzstücke etwas zu beliebig und heimatmuseal finden (aber das Provinzielle ist ja, wie gesagt, unverzichtbarer Bestandteil dieses Werks), und man kann sich wünschen, dass einige Aspekte ein bißchen mehr vertieft worden wären: Schmidts Zeit in der Wehrmacht wird ein bißchen obenhin abgehandelt, dabei sieht man schon an den Privatfotos in Uniform, dass es da durchaus eine Ambivalenz gibt, über die man reden müßte (und die vielleicht einige der Dämlichkeiten in der momentanen Grass-Diskussion konterkarieren könnte).

Aber was der Ausstellung auf jeden Fall gelingt, ist die Kartographierung von ein paar Ausgangspunkten, über die man sich dem Werk Arno Schmidts nähern kann. Ob man von da aus über die ausgetretenen Panoramarouten läuft oder eigene Wanderwege ausfindet, bleibt einem selbst überlassen. Das finde ich angenehm.

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