Bilder eines Massakers


Matteo di Giovanni

Ende Juli 1480 landeten große osmanische Flottenverbände an der apulischen Küste. Ziel der Mission war die Einnahme der Hafenstadt Otranto, an der engsten Stelle der Adria gelegen, nur 70 Kilometer von der Küste Albaniens entfernt. In Otranto gab es eine spanische Garnison, aber die konnte der Übermacht wenig entgegen setzen. Zwei Wochen dauerte die Belagerung, dann gab die Stadt auf. Viele hundert Einwohner wurden umgebracht, vor allem junge Männer. Allein 800 ließen die Besatzer enthaupten, weil sie, wie es in den Chroniken heißt, nicht zum Islam konvertieren wollten.

Es mag naheliegen, im Massaker von Otranto eine Art vormodernen 11. September sehen zu wollen, und bis heute taucht es routinemäßig in Auflistungen auf, die dem Islam eine besonders kriegerische oder grausame Haltung beimessen wollen. Dazu muss man schon einige fundamentale Unterschiede zwischen Ereignissen, die über 500 Jahre auseinander liegen, unter den Tisch fallen lassen. (Und die Tatsache, dass christliche Heerscharen auch nicht gerade zimperlich sein konnten, etwa in Volterra 1473, in Prato 1512 oder bei der Plünderung Roms 1527, um nur ein paar Beispiele aus dem zeitlichen Umfeld zu nennen.)

Politisch und militärisch war die Besetzung Otrantos nur eine Episode: Im Jahr darauf zogen sich die osmanischen Truppen wieder zurück. In einem Punkt läßt sich allerdings wirklich eine Verbindungslinie zu 9/11 ziehen: Auch damals gab es auf die Ereignisse ein lautes Echo, das Massker wurde als Beleg für eine Bedrohung der Christenheit insgesamt gedeutet. War nicht erst 1453 Konstantinopel, das Rom des Ostens, gefallen? Mußte der Angriff auf Otranto also nicht als ein Angriff auf das andere Rom erscheinen?

Ein biblisches Motiv findet sich darum häufig in den Kunstwerken dieser Zeit: Der Kindermord von Bethlehem, der als Präfiguration des Blutbads in Otranto gesehen wurde. Ein Maler aus Siena hat sich gleich mehrfach mit diesem Thema beschäftigt: Matteo di Giovanni, zunächst in einem Mosaik für den grandiosen Marmorfußboden des Domes (das bisweilen auch Francesco di Giorgio zugeschrieben wird), außerdem in drei Altarbildern, zwei für Bettelordenkirchen in Siena, eins für die napolitanische Kirche Santa Maria della Formello.

Die beiden senesischen Altarbilder sind kürzlich restauriert worden, und das Museum im alten Hospiz Santa Maria della Scala hat das zum Anlaß für eine spannende Ausstellung genommen. Spannend ist die Ausstellung, weil sie die Beobachtung erlaubt, wie sich in der Chronologie von Matteos Auseinandersetzung mit dem Sujet die Akzente verschieben und entwickeln.

Über Matteos Biographie gibt es wenig zu sagen. Warum hat er sich mehrfach mit dem Thema beschäftigt? Persönliche Betroffenheit? Oder einfach nur eine Sache der Nachfrage? Das Umfeld, in dem er arbeitet, konnte durchweg ein Interesse an einer propagandistischen Aufarbeitung des Themas haben: Dombaumeister Alberto Aringhieri gehörte dem Johanniterorden an, die mächtige Familie Spannocchi stand dem Haus Aragon nahe, aus dessen napolitanischem Zweig wiederum der Auftrag für das Bild in Neapel kam.

Matteo di GiovanniMatteo ist ein effizienter Propagandist: Der Kontrast zwischen den Mariengestalten der Mütter und den fratzenhaften Gesichtern der Mörder ist deutlich genug. Er komponiert die Körper, den Raum und die Farben mit einem ähnlichen Elan, den man auch bei breughelschen Bauernbildern finden kann. Interessant sind die Nuancen, etwa wenn er Herodes und seine Soldaten mal in einem eindeutig orientalischen Ambiente, mal in einem schwerer festzumachenden Rittertum übersetzt. Neben Herodes sehen wir mal einen alten Mann, der wohl die resignierende Weisheit vorstellen soll, ein anderes Mal steht ein junger Mann daneben, in der Kleidung eines wohlhabenden Bürgers, daneben, der dem Treiben wie ein sorgenvoller Humanist zuschaut.

Es gibt einen schönen Katalog zur Ausstellung, der diese und andere Fragen diskutiert. Die Ausstellung läuft noch bis zum 5. November.

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