Auf Googles Italien-Karten kann man nicht nur eine Bahnlinie entdecken, die schon seit 50 Jahren nicht mehr existiert. Hier ist noch so ein Kuriosum: Auf diesem Kartenausschnitt sieht man eine kleine Straße eingezeichnet, die in Nord-Süd-Richtung verläuft. Das ist die Strada del Duca, eine Verbindungsroute vom modenesischen Appennin ins Hinterland von Lucca. Und die sieht auf großen Teilen der Strecke ungefähr so aus:
Mit dem Auto kommt man hier also nur schlecht rüber. Dafür ist diese Route ein straßenbauliches Monument (und außerdem eine der schönsten Routen durch diesen Teil des Appennin, aber dazu komme ich gleich noch): Die Strada del Duca sieht noch fast genauso aus wie zu ihrer Eröffnung im Jahr 1823. Die Trasse ist mit groben, fast unbehauenen und ungleichmäßigen Steinen gepflastert. Wer sich hier motorisiert entlang bewegen will, braucht ein geländegängiges Fahrzeug. Und auch für Radler ist die Strecke recht anspruchsvoll: Man muss schon ein bißchen Geschick und Gleichgewichtssinn mitbringen, um zwischen den dicken und teilweise weit herausguckenden Pflastersteinen zu navigieren.
Dass die Straße fast im Originalzustand erhalten blieb, liegt daran, dass sie eigentlich Ergebnis einer straßenbaulichen Fehlplanung war und nie die Rolle gespielt hat, die man ihr zugedacht hatte. Die Strada del Duca (manchmal auch Strada del Granduca, Strada della Duchessa oder Via della Foce) entstand zwischen 1819 und 1823, als die Herzogtümer Lucca und Modena politisch und ökonomisch näher zusammenrücken wollten. Herzogin Maria Luisa von Lucca, Bourbonin und Infantin von Spanien, schlug ihrem Nachbarn, dem Herzog Franz von Modena, den Bau der Straße vor, um beide Herzogtümer zu verbinden, ohne das Territorium der Toskana (mit der beide nicht im besten Verhältnis standen) zu berühren.
Man fand eine passierbare Route über den Foce a Giovo, einen über 1.600 Meter hohen Sattel zwischen den Gipfeln des Monte Rondinaio und der Alpe delle Tre Potenze. Für damalige Verhältnisse war die Straße sehr state of the art, inklusive Rast- und Verpflegungsstätten entlang der Strecke. Die gab es vielleicht auch deshalb, weil sich beide Herrscher, erzählt die örtliche Folklore, nicht nur politisch näher kommen wollten. Allerdings hatten sie bis zur feierlichen Eröffnung der Straße nur brieflichen Kontakt gepflegt. Als sie sich auf dem Foce erstmals gegenüber standen, bemerkte Maria Luisa die grauen Schläfen des Herzogs von Modena und kommentierte das mit der süffisanten Bemerkung: „Auf den Gipfeln liegt schon Schnee.“ Worauf der Herzog zurückgab: „Wenn auf den Gipfeln Schnee liegt, gehören die Kühe ins Tal.“
Diese herzoglichen Nettigkeiten waren aber nicht der Grund dafür, dass die Strada in der Folge vernachlässigt wurde. Maria Luisa starb schon 1824, und ihr Sohn Karl hatte andere Prioritäten, weil er für das Herzogtum Parma vorgesehen war. Außerdem erwies sich die Instandhaltung der Straße als schwierig: Der Foce a Giovo ist einer der höchsten Übergänge im Appennin, im Winter ist er fast immer verschneit, auch sonst bei schlechtem Wetter fast unpassierbar. Die Einigung Italiens schließlich ließ die Route vollends zur abgelegenen Nebenstrecke werden, es gab einfachere Übergänge, vor allem den Abetone-Pass etwas weiter östlich.
Zum Glück, muß man sagen: Die Strada del Duca ist darum eine der schönsten Strecken in diesem Teil des Appennins geblieben. Und eine der einsamsten dazu, zumindest an einem Wochentag im Oktober: Außer einem Jeep der örtlichen Forstversammlung, oder ein, zwei Anglern und Pilzsammlern begegnet man hier niemandem.
Ich würde immer empfehlen, den Weg von der Nordseite her zu nehmen. Der Anstieg ist nicht ganz so steil und schlängelt sich behutsam durch die Buchen- und Kastanienwälder in die Bel Étage des Appennin. Man muss dazu von der SS 12, etwa auf der Höhe des Dörfchens Faidello, den Abzweig in Richtung Val di Luce nehmen. Nach kurzer Strecke erreicht man einen Parkplatz mit einer Wanderkarte: Die Strada del Duca beginnt mit der kleinen Steinbrücke, die hier über den Bach führt.
Die Straße führt erst durch den Wald (hin und wieder kann man durch die Bäume den Corno alle Scale sehen), ab der Tausendmetermarke etwa kommt man in offeneres Gelände. Anfang Oktober steht das Laub hier schon in rotgoldenen Flammen, und doch blühen auch noch zahllose Blumen. Man möchte fast an jeder Ecke atemlos innehalten, weniger wegen der Anstrengung, sondern weil das Panorama so überwältigend ist: Ringsherum stehen die Berge wie die Wände eines Amphitheaters und schicken den Blick bis zur Poebene.
Die Paßhöhe ist ein scharf eingeschnittener Spalt zwischen der langgestreckten Femminamorta und dem zuckerhutförmigen Monte Rondinaio. Hier zweigt ein schmaler Weg zur Alpe Tre Potenze und dem Passo d’Annibale ab. Der Pass heißt natürlich so, weil Hannibal hier rübergekommen sein soll. Möglicherweise war er tatsächlich in der Gegend, aber dann hat er wohl eher einen anderen Übergang, etwas weiter östlich, benutzt. Der Abzweig ist übrigens auf der Google-Karte auch sichtbar, was da wie eine kleine Stichstraße aussieht, ist allerdings noch weniger befahrbar als die Strada del Duca:
Auf der lucchesischen Seite fällt die Straße in steilen Serpentinen ins Tal. Die Strecke ist nicht ganz einfach, die Kurven sind durch den losen Schotter teilweise sehr rutschig, hier und da liegen dicke Felsbrocken auf dem Weg. Dafür ist der Ausblick grandios, vor allem hier an dieser Stelle, wo die Straße wie ein Balkon über dem tief unten liegenden Talboden hängt. Man sieht ein paar verlorene Bauernkaten, ansonsten scheint der Blick ins Endlose zu gehen: Eine Hügelkette reiht sich am Horizont hinter die andere ein, erst ganz hinten, im Dunst, kann man den Monte Pisano ausmachen, zu dessen Füßen Lucca und Pisa liegen.
Bis nach Lucca geht es jetzt nur noch bergab: Erst auf Schotter, dann auf rauhem Asphalt mit tiefen Schlaglöchern, über enge und schmale Sträßchen. Es gibt nur wenige Dörfer hier hinten im Val Fegana: Ein Wegweiser nennt den Namen Tereglio, aber das hängt so versteckt über der Straße, dass man es fast übersieht. Montefegatesi leuchtet von einem der Berge auf der gegenüberliegenden Seite: Von hier aus kann man absteigen zum spektakulären Canyon des Orrido dei Botri.
Für den gibt es heute aber keine Zeit mehr. Bis nach Lucca ist es noch ein gutes Stück, und im schmalen Tal wird es bereits schattig und frisch. Also schnell raus ins breitere Serchio-Tal, wo man, schneller als einem lieb ist, wieder von der Zivilisation eingefangen wird: Der Schnellstraße, die aus der Garfagnana kommt, kleinstädtische Industrie rund um Bagni di Lucca, touristische Reisebusse an der Ponte di Maddalena. Noch mal schnell zurückschauen: Aber die Berge bilden schon eine geschlossene Mauer, und den kleinen Durchstich der Strada del Duca kann man nicht mehr erkennen von hier aus.
Nachtrag:
Ein paar Informationen (auf italienisch) zur Geschichte der Strada und eine Wanderroute auf den nahegelegenen Monte Rondinaio gibt es hier.
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