Seit dem 1. Januar 2007 ist das Werk von Karl Kraus gemeinfrei. Das ist ein hässliches Wort, aber ein angenehmer Umstand, und einer der schönsten Folgen davon ist, dass die Österreichische Akademie der Wissenschaften sämtliche Jahrgänge der Fackel online verfügbar gemacht hat. Das ist allein schon deswegen erfreulich, weil es eine digitale Fackel bisher nur in Form der arg unzureichenden und sündhaft teuren CD-ROM des Saur-Verlags gab.
Auch bei der Fackel-Version der ÖAW möchte man erst mal mit dem Nörgeln beginnen: Warum muss man sich zur Nutzung erst umständlich registrieren (und dabei einer kruden Sammlung unsinniger Nutzungsbedingungen zustimmen)? Warum bleibt man nach dem Login nicht einfach eingeloggt, sondern wird nach kurzer Zeit schon wieder rausgeworfen? Warum so ein grauslicher Name („Fackel Gate“)? Navigation und Layout sind auch sehr gewöhnungsbedürftig und funktionieren allem Anschein nach auch nicht auf allen Browsern. Vielleicht hätte man da ein bisschen weniger Ajax auftragen sollen. Oder sich ein bißchen am spartanischen, hm, Design-Konzept der Fackel selbst orientieren dürfen. (Aber dass man bei der ÖAW den Kraus zwar studiert, aber nicht liest, ist ja auch nichts Neues.).
Insgesamt habe ich das Gefühl, dass hier eine Version online ging, die ursprünglich für eine andere Veröffentlichung gedacht war und dann mit wenigen und nur oberflächlich getesteten Modifikationen ins Netz gestellt wurde. Man bekommt nicht wirklich den Eindruck, dass mit diesem Projekt neue Zugänge zu Kraus eröffnen werden sollen, schon gar nicht für Leser, die Kraus‘ Werk bisher nur vom aphoristischen Hörensagen kennen. Das ist ein bisschen schade, denn davon abgesehen, ist es ja sehr erfreulich, wenn nun tatsächlich der entscheidende Teil des Werks von Kraus frei zugänglich zur Verfügung steht. Da kann man nun sehen, dass das Werk mehr ist als ein Steinbruch, aus dem man sich nette Versatzstücke für spöttisch gemeinte Reden rausbrechen kann, sondern dass es da ein ganzes Gebirge gibt, mit majestätisch schönen Höhenlinien, tiefen Senken und auch reichlich Sprödigkeiten und Verwerfungen. Das wäre nun der nächste Schritt: All die Kreuz- und Querverweise, die Selbstbestätigungen und -widerlegungen, die Irr- und Rennwege aufzuarbeiten, die es in diesem Gebirge gibt.
Es liegt nahe, in Kraus einen Blogger avant la lettre sehen zu wollen, aber ich würde mal vermuten, dass ihm so eine oberflächliche Aktualisierung zuwider wäre. Die Gemeinsamkeit besteht ja vor allem darin, sich jenseits der Zwänge, denen die Medien unterworfen sind, äußern zu wollen, und diesen Äußerungen eine – mehr oder weniger große – Öffentlichkeit zu verschaffen. Mit dem gleichen Recht könnte man Kraus ja auch zum ersten Herausgeber eines Zines adeln, aber das könnte man dann auch von Matthias Claudius oder Lessing behaupten.
Kraus hat sich doch weniger als Avantgardist und Pionier verstanden, eher als Mineur, der im Zweifel auch Sprengsätze bei denen anbrachte, die ihn verlinken wollten. Die Avantgarde, das waren eher die anderen: Die Presse und die Journalisten, eine Avantgarde im negativen Sinn, die dem Kommerz Zugang in die Sphäre des Geistes und der Literatur verschaffte und die Arbeit am Text durch unnötiges Geschwätz unterbrach.
Aber das kann man ja jetzt alles selbst nachlesen.
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