Like Blogs never happened


Jochen Reinecke findet in der FAZ die Wertschätzung, die Blogs entgegengebracht wird, stark übertrieben.

Früher hieß es beim bunten Abend gern „Jekami“. Das Grundprinzip ist dasselbe geblieben: Jeder kann mitmachen. Nur organisiert sich das Ganze jetzt weltweit in Internet-Tagebüchern, so genannten Weblogs. Dabei geht es zu wie in der Punkmusik: Jeder, der vor zwanzig Jahren eine Gitarre halten konnte, ansonsten aber völlig unmusikalisch war, hatte zumindest theoretisch die Chance, berühmt zu werden. Genauso kann heute jeder, der einen Computer und einen Internetzugang besitzt, Texte halbwegs professionell layouten und publizieren. Was die Texte taugen, steht auf einem anderen Blatt.

Gähn. Mal abgesehen davon, dass da jemand Punk wohl nicht wirklich verstanden hat, sondern nur ein angegammeltes Klischee abgreift: Ich wäre da an seiner Stelle vorsichtig mit dem Vergleich zu Punk. Denn wenn man den mal ein bißchen weiterdenkt, könnte man auf die Idee kommen, dass es da doch vielleicht mehr Parallellen gibt, als der Medienindustrie lieb sein kann.

Soviel stimmt ja: Der Do-It-Yourself-Aspekt ist etwas, das Punks und Blogs gemeinsam haben. Man könnte noch anderes nennen, vor allem, dass es darauf hinauslief, Vorgaben und Strukturen der etablierten Medien nicht einfach so hinzunehmen, sondern eigene aufzubauen, mit unabhängigen Labels und Vertrieben, mit Netzwerken von Bands und Clubs, und nicht zuletzt mit den zahllosen Fanzines, die rückblickend betrachtet ja auch was von gedruckten Blogs haben.

Klar, Fanzines, unabhängige Labels und so was gab es nicht erst im Punk. Sicher, bei den wenigsten Fanzines reichte der Radius über den Copyshop hinaus, in dem sie hergestellt wurden. Aber Punk hat dazu beigetragen, solche Aktivitäten aufzuwerten und mit einer Haltung zu versehen und fest im popkulturellen Bewußtsein zu verankern.

Man könnte ja mal darüber nachdenken, ob es der Musikindustrie nicht vielleicht auch deswegen so schlecht geht, weil sie nicht kapiert hat, wie sie mit Entwicklungen, die durch Punk angestoßen, zugespitzt oder beschleunigt wurden, umgehen soll. Sondern stattdessen hinnehmen musste, dass andere Bewegungen kamen (HipHop, Techno, was auch immer), die daran anknüpfen und eigene Haltungen entwickeln konnten. Das hat zumindest dazu geführt, dass es für die Musikindustrie nicht mehr so einfach ist, die Existenzberechtigung der Branche zu erklären und zwischen Fischzug und Kriegszug zu einer klaren Strategie zu finden. Es gibt noch einen Mainstream, aber er hat nicht mehr die gleiche integrative Wucht.

Insofern ist es albern, die Irrelevanz von Blogs mit der geringen Zahl der Leser belegen zu wollen. Ein Blog mit zwei Lesern wäre kein Problem. Ein paar Millionen davon schon eher: Weil das möglicherweise auch ein paar Millionen Leser sind, die keine Lust oder kein Interesse mehr daran haben, sich die Welt durch die Zeitung erklären zu lassen. Die Frage ist also eher, ob das Aufkommen der Blogs für eine Dynamik steht, die sich die Medienhäuser schon mal genauer angucken müssen.

Solche Entwicklungen haben in der Regel einen längeren Atem als Feuilletonredakteure, die sich naserümpfend auf ihr „breites Allgemeinwissen, professionelle Recherche, ein gewisses Arbeitsethos“ berufen. Wie’s um die „professionelle Recherche“ gelegentlich bestellt ist, konnte man lustigerweise an der Bebilderung dieses Artikels ganz gut beobachten. Und was journalistisches Allgemeinwissen und Arbeitsethos angeht: Da leidet die Sparte nicht erst seit den Zeiten der Fackel an maßloser Selbstüberschätzung.

Es mag sein, dass es rund um die Blogosphäre einige Phänomene gibt, die man kritisch betrachten muss. Aber wenn es darum geht, festzustellen, wie „relevant“ oder „folgenreich“ das alles ist: Wäre es da nicht spannender, mal genauer nachzufragen, wofür Blogs eigentlich genau stehen, statt naserümpfend über „Krawallblogger“ zu lästern und das Benehmen in Newsgroups besser zu finden? (Wie relevant sind die eigentlich?)

„Vielerorts war zu erfahren, Blogger seien die neuen Journalisten“, mokiert sich Reinecke. Das ist eine unsinnige Behauptung, in der Tat. Denn das Besondere an den Blogs ist gerade, dass sie kein Journalismus sind. Und viele Journalisten kriegen bei dem Thema vielleicht gerade deshalb so viel Schaum vor den Mund, weil sie das als Provokation empfinden, als implizite Frage, wofür man Journalisten überhaupt braucht. Und weil das eine Frage ist, auf die ihnen keine Antwort einfällt.

Es ist doch kein Zufall, dass so ein Medium wie Blogs gerade zu einem Zeitpunkt populär wird, wo Zeitungsverlage mit sinkenden Auflagen und Fernsehanstalten mit sinkenden Zuschauerzahlen zu kämpfen haben. Gerade dass die „Relevanz“ von Blogs nicht meßbar ist oder allenfalls in mikroskopisch kleinen Dosen, wenn man die Instrumente anlegt, mit denen die Medien gewohnt ist zu messen – gerade das macht sie für die traditionellen Medien so brisant: Die leben davon, dass es der Zugang zu einer großen Zahl von Lesern und Zuschauern über ein paar wenige und leicht erreichbare Punkte möglich ist. Wenn sich Öffentlichkeit auseinanderdividiert in Myriaden von Subszenen, dann wird es schwierig, den Überblick zu behalten.

(Für die Plattenindustrie ist das ja schon ein Problem: Es gibt keine echte musikalische Avantgarde mehr, die man einfach so anzapfen könnte, um ständig auf dem Laufenden zu bleiben. Bei anderen Medien mag das noch nicht so deutlich sichtbar sein. Es „wird nur wahrgenommen, was in der Zeitung steht oder im Fernsehen läuft“, behauptet Reinecke. Na ja, geht so. Wie viele Themen schaffen es aus dem Feuilleton der FAZ bis in die „Mehrheit der deutschen Bevölkerung“? Gilt nicht auch für die Mainstream-Medien, dass es ihnen immer schwerer fällt, die Deutungshoheit, die sie beanspruchen, auch zu halten?

Und kommt es wirklich darauf an, ob zum Beispiel jemand wie Don Alphonso nun das StudiVZ tatsächlich besiegt hat, oder ob er da gegen Windmühlen angerannt ist, die auf dem Immobilienmarkt dann doch noch als Schnäppchen weg gingen? Daraus einen Vorwurf zu stricken, wäre ungefähr so albern wie den Sex Pistols vorzuwerfen, dass die Queen immer noch auf dem Thron sitzt. Das Interessante ist doch, dass solche Texte überhaupt eine Resonanz erzeugen können, die in diesem Fall sogar bis in Teile der Mainstream-Medien hineinreicht, obwohl sie gar nicht nach deren Regeln publiziert werden.

Aber so nonchalant wie Reinecke tut, sind die Medien ja gar nicht. Dass da etwas in Bewegung ist, haben die meisten schon kapiert, sie wissen nur nicht so richtig, was. Lustig ist, dass ausgerechnet unter einem Text, der uns die Irrelevanz von Blogs und Kommentaren erklären will, so ein Hinweis steht:

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Aber wie das so ist, wenn man erst nörgelt und dann einfach nachäfft: Richtig überzeugt klingt das nicht. Sondern eher ziemlich hilflos:

Dies ist der dritte Versuch von FAZ.NET, Online- und Printproduktion miteinander zu verbinden.

Ach je. Mensch Leute. Macht doch endlich mit. Sonst müssen die das immer wieder versuchen.

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