Auf den Hauptsitz der Bank Monte dei Paschi in Siena ist am Montag ein Überfall verübt worden: Zwei Räuber haben 170.000 Euro erbeutet. Nach einer Verfolgungsjagd durch die Altstadt wurde einer der beiden gestellt, der andere ist mit der Beute noch flüchtig.
Ich stehe jedes Jahr mehrmals auf dem Platz vor dem festungsartigen Hauptgebäude der Bank. Wie jemand die Chuzpe aufbringen kann, da hinein zu spazieren und einen Überfall zu versuchen, kann ich mir nicht vorstellen. Wenn es ein Gebäude gibt, das die Vorlage für Dagoberts Geldspeicher abgegeben haben könnte, dann das hier.
In Italien ist der Banküberfall aber aus einem weiteren Grund ein Thema. Der gefasste Bankräuber heisst Cristoforo Piancone und gehörte mal zur Kommandoebene der Brigate Rosse. Er gilt als irriducibile, als ein Hardliner, der sich weigert, seiner Vergangenheit abzuschwören. Dennoch bekam er 2004 wegen guter Führung den Status eines Freigängers zugesprochen.
Warum jetzt der Überfall? Um private finanzielle Engpässe zu beheben, wie Piancone zu Protokoll gegeben hat (wobei er sonst fast nichts zu Protokoll gibt, auch nicht die Identität des Mittäters)? Hat Piancone Verbindungen zur Organisierten Unterwelt? Oder wollte er das Geld für den Aufbau einer neuen terroristischen Organisation zu nutzen?
Da kommt die Geschichte natürlich in ein Gelände, das man auch in Deutschland gut kennt. Vor allem auf der rechten Seite des politischen Spektrums, aber auch bei noch lebenden Opfern und Hinterbliebenen ist die Aufregung gross. Hat man da nicht endlich einen Beleg dafür, dass Terroristen keine Gnade verdient haben? Zumal schon seit längerem Spekulationen über einen Schulterschluss zwischen Veteranen der BR und einer neuen Generation gibt.
Die Heftigkeit der Diskussion übertrifft um einiges die Debatte um die Begnadigung ehemaliger RAF-Mitglieder, die bei uns geführt wird. Wenn die „bleiernen Jahre“ etwas erreicht hatten, dann den Kitt, mit dem die Spaltungen und Risse in der italienischen Gesellschaft immer mal übertüncht werden, offen zu legen. Hier und da hat man ihn wieder angebracht, aber es braucht wenig, um ihn zum Bröckeln zu bringen. Die unzähligen Verschwörungstheorien rund um die Entführung Aldo Moros, den Tod von Feltrinelli, das Attentat auf den Hauptbahnhof von Bologna sind nur Belege dafür, dass Italien ein Land ist, dass sich selbst nicht recht über den Weg traut. Und darüber mit Leidenschaft diskutiert.
Davon abgesehen, ist der Fall Piancone nicht ohne drehbuchreife, melodramatische und bizarre Elemente, ganz wie die italienischen Medien das lieben. Die Flucht durch die Altstadt von Siena scheiterte auch deshalb, weil die Bankräuber offensichtlich übersehen hatten, dass die Straßen durch die sie fliehen wollten, gesperrt waren – die ortsansässige Contrade der Gans feierte den Sieg im Juli-Palio. (Ansonsten wäre der Fluchtweg nicht schlecht gewählt gewesen: Die Straßen da sind steil, eng und unübersichtlich, wenn man schnell genug durch die japanischen und amerikanischen Touristen hindurch kommt.) Zu einer Schießerei kam es nur deshalb nicht, weil Piancone vergessen hatte, seine Waffe zu entsichern.
Piancone war im übrigen vor sechs Jahren schon einmal Freigang zugestanden worden. Der wurde kassiert, als man ihn beim Ladendiebstahl in einem Supermarkt erwischte – mit „einer Schachtel Diätpastillen, zwei Kaugummipäckchen und ein paar Männerunterhosen“, protokolliert die Repubblica. Seinen Lebensunterhalt verdiente er zuletzt als Pedell einer Schule in Turin, heißt es. Saß er da in seiner Hausmeisterloge und schmiedete Pläne für neue revolutionäre Anläufe? Hatte er resigniert als eine Art kampfesmüder Bartleby, war der Überfall ein Ausbruchsversuch aus einem bedeutungslos gewordenen Leben?
Es wird, da bin ich mir sicher, bald eine Menge Theorien und Geschichten dazu geben.
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