Tecno Brega


Es ist ja nicht wirklich so, dass die Musikindustrie dem Exitus nahe ist: Das gilt nur für einige ihrer Protagonisten. Wenn man nach Modellen sucht, wie mit Musik Geld verdient werden kann, muss man sich nicht mit Radiohead begnügen. Man kann auch mal ein bißchen über den amerikanischen und europäischen Tellerrand hinausschauen. In der brasilianischen Stadt Belém gibt es eine lebendige Party-Szene, die sich Tecno Brega nennt. Musikalisch ist das ein weiterer Hybrid lokaler Pop-Traditionen mit Techno-Twist, sehr roh und direkt, vergleichbar dem Baile Funk aus den Favelas von Rio de Janeiro, aber das ist nicht das Interessante. Spannend an der Tecno Brega-Szene sind die Methoden, wie der Vertrieb und die Vermarktung der Musik hier funktionieren. Und wie die Protganisten dieser Szene es geschafft haben, eine Art Gegenökonomie zur etablierten brasilianischen Musikindustrie aufzubauen.

Kaum einer der Künstler setzt darauf, mit Plattenveröffentlichungen Geld zu verdienen. Die Szene existiert vor allem live, auf großen Partys und Sound Systems am Wochenende. Natürlich gibt es CDs mit Brega-Musik zu kaufen, über 400 Platten erscheinen im Jahr, heißt es hier. Aber diese Platten werden in der Regel ad hoc produziert – Brega darf ruhig billig klingen – und schnell auf den Markt geworfen, über fliegende Händler, die sie für Preise um einen Euro verkaufen, nicht über Plattengeschäfte. Denn die CDs sind nicht das, was vermarktet werden soll – sie sind das Marketing-Tool selbst: Auf den Covern und nicht selten auch in den Texten finden sich Hinweise auf die Partys am Wochenende. Der Preis ist nur ein Anreiz für die Händler, damit der Vertrieb der CDs funktioniert, aber er ist so niedrig wie es geht, damit sich möglichst viele die Platten leisten können. Auch der Eintritt zur Party kostet selten mehr als ein bis zwei Euro. Weil die CD als Marketinginstrument gilt, können die Bands auch ganz gut damit leben, wenn die CDs schwarz kopiert und weiter gereicht werden: Das macht die Party und die eigene Musik nur bekannter.

Eine weitere Besonderheit: Die Partys werden mitgeschnitten und die CDs direkt am Ende der Veranstaltung als Souvenirs verkauft (üblicher Preis: um die zwei Euro). Die Souvenirs sind auch darum begehrt, weil auch im Tecno Brega das Grüßen eine wichtige Rolle spielt: Shout Outs für Freunde, Nachbarn und wer sonst noch so zur Posse gehört, sind fester Bestandteil des Party-Rituals – und die bezahlen dann gerne ein paar Euro für eine CD, auf der ihr Name zu hören ist. Würde mich nicht wundern, wenn man die Shout Outs auch kaufen kann – vom Geburtstagsgruß bis zum Product Placement geht da bestimmt einiges.

Eine Brega-Band, Banda Calypso, gilt mittlerweile als populärste Band Brasiliens. Das Ensemble verdient aber so gut wie kein Geld mit dem Verkauf der eigenen CDs, umso mehr dafür über Live-Auftritte (und ein paar DVD-Veröffentlichungen). Schlecht scheint’s den Musikern dabei nicht zu gehen: Eine Anekdote erzählt, dass ein Fernsehsender die Band für einen Auftritt mit einem Firmenjet einfliegen wollte. Banda Calypso lehnte dankend ab: Nicht nötig, man besitze ein eigenes Flugzeug.

Es gibt ähnlich kreative Vertriebsmechanismen wie in der Brega-Szene auch in anderen Regionen der Welt, in anderen Musikszenen usw. Aber in Belém ist die übliche Vermarktungslogik der westlichen Musikindustrie ganz deutlich auf den Kopf gestellt: Während bei uns der Auftritt (das einmalige Ereignis) nur ein Marketing-Tool ist, um ein dauerhaftes „Werk“ (das Album, die Single) zu verkaufen, ist es hier genau umgekehrt: Das Ereignis ist die Hauptsache, und Geld wird mit Dingen verdient, die die Einmaligkeit unterstreichen und verstärken.

(Via.)

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