Es gibt einen neuen Roman von Brigitte Kronauer: Errötende Mörder. Einen Auszug daraus kann man bei der Berliner Literaturkritik lesen:
Er sah aus dem Schaufenster weiter durch den Spalt zwischen den Kalendern und Postern auf die Straße. Vor einigen Wochen hatte er mit Natalja, um sie mit einer anderen Seite der Stadt zu verblüffen, einen Spaziergang durch ein Flußtal im Norden gemacht. Zu beiden Seiten des Wassers gab es noch schmale Streifen eines ursprünglichen Auwalds. Danach hatten sie in einer langgestreckten Einkaufspassage Kaffee getrunken. Konstruiert wie das Flußtal, mußte er die ganze Zeit denken. Oder war die Reihenfolge umgekehrt gewesen? Dann hatte er eben während der Wanderung immer gedacht: Angelegt wie eine Einkaufspassage! Auch war ja seine kleine Russin für ein Weilchen im einen Fall hinter einem Baum, im anderen auf der Toilette verschwunden.
Eine hinterhältige kleine Passage, die mehr über das Konstruierte im poetischen Idyll erzählt als manche Dissertation. Wie hier ein klassischer locus amoenus eingeführt und sofort in ein postmodernes Verwirrspiel um das Abbild und das Gemeinte transportiert wird, das ist schon große Klasse. Ein Idyll muss sich heute messen lassen an seiner Brauchbarkeit – daran, wie gut es sich als Kulisse für Konsum und Freizeitaktivitäten durchqueren lässt. Im Zweifel lässt sich die Ursprünglichkeit der Auenlandschaft immer noch dazu nutzen, um mal hinter die Büsche zu verschwinden.
Die Erzählung führt das freilich nur vor, für Spekulationen hat sie keine Zeit. Der Blick mäandert von hier weiter durch ein Panorama deutschen Einzelhandels, vorbei am „möglichst malerischen Einkaufen auf dem teuren Wochenmarkt“, am „Wäschegeschäft gegenüber, dämlich vollgehängt mit faden Nachthemden“, der Apotheke, die „dringend trübselige Gratisuntersuchungen empfahl“, der Parfümerie „mit den bildhübschen Verkäuferinnen, die Düfte von oben bis unten ausströmten“ und dem „bei Ausgehwetter speziell von alten Damen gehätschelten Mann mit der Obdachlosenzeitung, der sich im Wind durch Einziehen des Kopfes immer in einen Marabu verwandelte“.
Schöner kann man die Flußlandschaft einer deutschen Fußgängerzone kaum malen.
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