Im Times Literary Supplement gibt es einen schönen Artikel über Ferdinand de Saussure. Darin geht es zwar auch um eine Diskussion seiner linguistischen Thesen, das geschieht aber vor dem Kontext seiner Biographie. Und die erhält vor allem seit 1996 einige deutliche Konturen, als einige bis dahin unbekannte Papiere, Notizen und Briefe aus dem Nachlass auftauchten.
So erfährt man unter anderem, dass ihn die Zeichen und ihre Bedeutung nicht nur im sprachwissenschaftlichen Kontext interessierten. Auf die adlige Herkunft der Familie Saussure muss er einigen Wert gelegt haben: Als sich ein britischer Schwager namens Major Hastings mal skeptisch dazu äußerte, recherchierte er akribisch nach und konnte seine Vorfahren bis zum englischen König Heinrich VII. nachweisen: „Your wife and I are pedigreed descendants of William the Conqueror, whereas you, Major, bear the name of one of his battlefields.“
Interessant und überraschend sind ein paar Anmerkungen Saussures, die offensichtlich aus einer Studie seines psychologischen Kollegen Théodore Flournoy stammen. Flournoy befasste sich mit psychischen und parapsychischen Phänomenen (sein berühmtestes Buch, Des Indes à la Planète Mars, behandelt Untersuchungen der Spiritistin Hélène Smith), wie etwa dem Photismus, dem „Hören in Farben“. Bei Saussure war er damit an der richtigen Adresse:
In French we write the same vowel four different ways in terrain, plein, matin, chien. Now when this vowel is written ain, I see it in pale yellow like an incompletely baked brick; when it is written ein, it strikes me as a network of purplish veins; when it is written in, I no longer know at all what colour sensation it evokes in my mind, and am inclined to believe that it evokes none.
Und weiter:
So it does not seem to be the vowel as such – as it exists for the ear, that is – that calls forth a certain corresponding visual sensation. On the other hand, neither is it seeing a certain letter or group of letters that calls forth this sensation. Rather it is the vowel as it is contained in this written expression, it is the imaginary being formed by this first association of ideas which, through another association, appears to me as endowed with a certain consistency and a certain colour, sometimes also a certain shape and a certain smell.
Ungewöhnliche Aussagen von jemandem, der sich sonst in seinen Untersuchungen (beziehungsweise dem, was von seinen Schülern davon überliefert wurde) von psychologisierenden Spekulationen fern hielt. Ebenso überraschend wie die Entdeckung, das Saussure, der kühle, calvinistische Analyst der Sprache, auch noch Gedichte schrieb:
Et les voilà tous trois, rêveurs et sérieux
Cherchant dans ce chaos un sens mystérieux
Et si le destin sombre aussi leur fait attendre
Quelque vague malheur qui couve sous la cendre.
Schreiben Sie einen Kommentar