Ja, das ist Anita Ekberg auf diesem Bild. Und was sie da im Arm hält – man kann’s hier zugegebenermaßen nicht so gut erkennen – ist tatsächlich ein Buch von Arno Schmidt, Die Schule der Atheisten, um genau zu sein. Der ältere Herr, der ihr zu Füßen sitzt, ist der spanische Dichter Rafael Alberti. Das heißt: Auf diesem Bild ist er Arno Schmidt, in gewissem Sinne, und er sitzt zu Füßen seiner Muse, und die ist also Anita Ekberg. Und das ganze Ensemble ist eine Szene aus einer kuriosen Fußnote der Filmgeschichte
Aber der Reihe nach: Anfang des Jahres bin ich in der Arno Schmidt Mailingliste erstmals auf das Gerücht gestossen, es gebe da einen italienischen Film über Arno Schmidt, in dem Anita Ekberg mitspiele. Tatsächlich findet sich ein Hinweis darauf in Karl-Heinz Müthers Bibliographie, die Anno Schmidt (Das Jahr Schmidt) als Produktion der RAI ausweist und als Regisseur einen Sebastian Schadhauser nennt. Schadhauser wer? Die IMDB kennt unter diesem Namen nur einen Assistenten bei zwei Filmen von Straub und Huillet. In der Mailingliste folgte ein kleines Hin und Her, aus dem man dunkel nur zwei Dinge entnehmen konnte. Wenn es den Film tatsächlich gab, dann war er von denjenigen Koryphäen der Schmidt-Gemeinde, die ihn gesehen hatten, für so schlecht befunden worden, dass er quasi unter ein dreißigjähriges Anathema fiel. Oder das Ganze war einfach nur ein Hoax.
Dann aber kam das Angebot von Winand Herzog, Listenteilnehmer und Schriftsteller aus Mönchengladbach, den Film aufzutreiben und eine DVD davon produzieren zu lassen. Bei solchen literarischen Detektivgeschichten kann ich nur schwer widerstehen, also hab ich mich in die Liste der Subskribenten eingetragen.
Und Herzog hat Wort gehalten: Heute lag ein Päckchen im Treppenhaus, darin die versprochene DVD und ein schmales Bändchen mit Materialien noch dazu. Und tatsächlich: Der Film ist echt, Ekberg kommt drin vor und es geht auch tatsächlich um Arno Schmidt. Wie und wo der Film produziert wurde, wie er fast ins Oblivion verschwand und dann wieder auftauchte, das mag ich nun beim besten Willen nicht nacherzählen. Nur soviel: Die Entstehungsgeschichte ist weniger spektakulär als man denken könnte. Schadhauser wollte einen Film produzieren, der dem italienischen Publikum Arno Schmidt näherbringt. Schmidt wollte nicht, warum, ist nicht überliefert. Also entstand stattdessen eine kleine Meditation oder ein „Capriccio“ (Herzog) übers Schreiben, Dichten und die Sprache: Darin spazieren Alberti und Ekberg ausgiebig durch heideähnliche und bewaldete Landschaften und tragen einander Texte von Pavese, von Orwell und von Alberti vor.
Ehrlich gesagt: Ich hab den Film mit Vergnügen gesehen. Möglicherweise gerade wegen der Patina, die sich auf die langsame und geduldige Inszenierung gelegt hat. Was Schmidts Anhänger damals so brüskiert haben mag, kann man nur raten, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass es – wie Herzog nahelegt – wirklich an Ekberg lag. Vermutlich war es eher die spröde, etwas linkische Machart des Films. Man merkt schon das Vorbild von Straub und Huillet. Der Film wirkt auf eine sympathische Art amateurhaft, aber es gibt auch fein arrangierte Tableaus, vor allem, wenn Ekberg mit ihrer wehenden blau-weiß-grauen Toga durch die Szene schwebt. Und dann gibt es ein wunderschönes Gedicht von Gianni Totí, Films Traum, das den Rahmen des Films bildet und in dem deutsches und italienisches Sprachgeschirr mit einer wunderbaren Muskalität eingekocht werden. (Leider ist es im Textband nur in einer deutschen Übersetzung abgedruckt.)
Der Film ist aber nicht das einzige Highlight: Auch das Buch ist lesenswert, vor allem das Interview mit Schadhauser, in dem en passant eine kleine kulturhistorische Panoramaskizze entworfen wird. (Und lernt nebenbei u.a., dass auch jemand wie Alberto Moravia Schmidt interessant fand: Angeblich wollte er ihn sogar in Bargfeld besuchen, verfuhr sich aber auf dem Weg dahin.)
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