Ein Seminarraum, könnte man meinen, ist eigentlich kein Ort für kreative Veranstaltungen: Ausstattung, Sitzordnung, Beleuchtung – alles ist darauf ausgerichtet, sich zu den Dingen in ein objektives Verhältnis zu setzen, Diskussionen auf Augenhöhe zu ermöglichen und die Hierarchie der Anwesenden zu negieren. Charme, Zauber und Verführung hat hier, scheint es, keinen Platz. Aber das ist natürlich Illusion, auch der wissenschaftliche Diskurs hat Spielregeln, und so spricht nichts dagegen, auch so einen nüchternen und scheinbar untheatralischen Ort in Szene zu setzen.
_vater.mutter.hund/ nennt sich die aktuelle Produktion des Kölner Ensembles Futur 3. Nach mehreren Produktionen, in denen das Ensemble um einige Gastdarsteller erweitert wurde, ist die Besetzung diesmal auf das Kerntrio reduziert: André Erlen, Stefan Kraft und Klaus Maria Zehe sind die Protagonisten eines theatralischen „Forschungsprojekts“, zwei Wissenschaftler, die für ein Forschungsprojekt die Institution Familie unters Mikroskop nehmen, und ein Hausmeister, der zum Zeitvertreib Bienen züchtet und somit eine der interessantesten Varianten von Familie und Gesellschaft aus der Nähe beobachten kann.
Ort des Geschehens: Ein Seminarraum des Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung, wo sonst das Geraschel von PowerPoint-Folien das einzige Nebengeräusch ist, dass die wissenschaftlichen Erörterungen begleitet. Ein paar Grafiken von Hann Trier sind die einzige Konzession an ästhetische Sehbedürfnisse, zu sehen gibt es Motive aus dem Pinocchio,
Die typographische Spielerei des Titels ist einer dieser neckischen Effektchen, ohne die sich heute kaum eine freie Produktion auf den Markt traut, die man meinetwegen aber auch gerne Werbeagenturen und EU-Initiativen überlassen könnte. (Vielleicht erledigt sich das aber auch bald von selbst, wie seinerzeit die ulkigen kabarettistischen Klammerspielchen – „(Ma)Kabarett(ich)e“ und so was.) Das Arrangement ist, vermute ich mal, bewusst so gewählt: Der Unterstrich am Anfang ist so etwas wie eine Traditionslinie, die Verbindung der Familie mit den Generationen davor. Es folgen – join the dots – ihre Grundbestandteile: Vater, Mutter und Kind – das heißt, Kinder gibt’s ja nicht mehr genug, also steht dar der Hund, so dass die klassische Konstellation aufgelöst und neu zusammengesetzt werden muss, und was danach kommt, ist so offen, wie die Leerstelle nach dem Schrägstrich.
Munter und Hund glänzen im Stück stelbst durch Abwesenheit, überhaupt hat der Titel etwas von einem klassischen roten Hering, ebenso wie die Behauptung des Pressetextes, es ginge im Stück darum, „herauszufinden, warum die Eingeborenen hier im ‚Land der Ideen‘ eigentlich aussterben wollen“. Soll da der „deutschtümelnde Demografiediskurs“ (Christoph Butterwegge) aufs Proszenium gebracht werden? Nö, zum Glück nicht – das Thema läuft höchstens ganz am Rande mit. Es geht eher darum, wie sich Wissenschaft arrangiert mit der Welt, die sie vorfindet – und ab wann sie anfangen darf, das Vorgefundene zu arrangieren. Und wieviel Realität die Forschung vertragen muss.
Die beiden Forscher, die da ermitteln sollen, warum Familie nicht mehr so funktioniert wie das vor Jahren mal der Fall war, haben nämlich selbst eher dysfunktionale Fallbeispiele zu bieten: Der eine (Stefan Kraft) ist ein französischer Hedonist, der die erotische Dimension des Forscherdrangs lustvoll ausleben will, sich aber stattdessen mit seinen Ex-Frauen streiten muss, wenn er mit einem seiner Kinder telefoniert. Der andere (André Erlen), ist ein Geistesverwandter des Molekularbiologen Michel aus Elementarteilchen, ein asexueller, poststrukturalistischer Frankenstein, der seine discussion papers bei Jazz-Core fomuliert und zur Entwicklung der postfamiliaren Zukunft in den Keller geht. Irgendwo dazwischen – oder doch eher dritter Pol einer wissenökonomischen Triade? – der bienenfleissige Hausmeister (Klaus Maria Zehe), der uraltes Wissen in Redensarten aufbewahrt und am Ende vor dem Nichts steht.
Was am Ende dabei rauskommt, ist ein Bastard, aber einer, der sich sehen lassen kann. Ich hab mir das Ganze jedenfalls mit großem Vergnügen angeschaut. Denn bei aller Komplexität des Themas sind die drei Futuristen ausgesprochen fröhliche Wissenschaftler. Der Wechselbalg, den sie in die Welt gesetzt haben, ist ein Patchwork wie die Familien von heute, eine bunte Wundertüte aus Konferenz und Kabarett, Vortrag und Videocast, Diskurs und Drama. Dass das Stück dennoch kohärent bleibt und sich nicht in seine stilistischen Einzelteile zerlegt, liegt daran, dass die menschliche Dynamik beim Erwerb und der Anwendung von Wissen insgesamt doch interessanter ist als das familienpolitische Leitthema.
Die Schlaflosigkeit der Vernunft gebiert Monster, und ein echtes Monster gibt es dann auch noch am Ende. Aber da würde ich zu viel verraten – im nächsten Jahr soll es noch ein paar Aufführungen geben.
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