Ein Vergessener aus den Vogesen: Frédéric Fiebig. Vor ein paar Tagen fand ich an dieser Stelle ein paar interessante Holzschnitte, teils grotesk, teils düster und auster, und irgendwie scheinbar nicht so ganz zusammen passend. In jedem Fall aber interessant genug, um sich auf die Suche zu machen nach dem Künstler, der diese Bilder produziert hatte.
Viel lässt sich nicht finden im Internet: Es gibt eine private Homepage, die sich ganz dem Werk Fiebigs verschrieben hat und einige Gemälde präsentiert: Starke, kräftige Gemälde von einer beeindruckenden Farbigkeit, als ob hier jemand versucht hat, auf eine ganz eigene Weise Impressionismus, Expressionismus und Abstraktion zu versöhnen. Es gibt ein paar weitere Anmerkungen und Bilder auf der Website einiger „Freunde der humanistischen Bibliothek Sélestat„, wo sich auch kurze Auszüge aus einer Biographie Fiebigs finden lassen, und dann ist da noch diese lettische Seite, die ich sich mir nur rudimentär erschliesst. (Übersetzungshilfen werden gerne angenommen.)
Wer war dieser Frédéric Fiebig? Die wenigen biographischen Anhaltspunkte deuten auf eine Biographie, die für einen kurzen Moment nah ans Zentrum der europäischen Kunstgeschichte zu rücken schien und dann doch als Marginalie verebbte. 1885 ist er in Talsi (oder Talsen) in Lettland geboren. Er studiert in Sankt Petersburg, wo er offenbar einige Bewunderer findet, genug jedenfalls, um den Absprung in die damalige Metropole der künstlerischen Welt zu wagen, nach Paris.
Aus den spärlichen Andeutungen kann man herauslesen, dass Fiebig ein einzelgängerischer, wenig kontaktfreudiger Mensch gewesen sein muss. Trotzdem scheint er sich im Pariser Kunstbetrieb zunächst ganz gut behauptet zu haben: Er hatte offenbar Kontakt zu einigen prominenten Zeitgenossen (zu wem, weiss ich nicht), 1912 gab es eine Einzel(?)ausstellung in der berühmten Galerie Bernheim jeune, der Kritiker Clément Morrolobt ihn als „Impressionisten im wahrsten Sinne des Wortes“.
Aus diesem Radar verschwindet er aber allmählich, und dabei spielen auch familiäre Gründe eine Rolle: Sein Sohn Éric ist kränklich, die Familie zieht erst nach Südfrankreich und dann, als sich der Gesundheitszustand dort nicht bessert, ins Elsass. 1932 stirbt der Éric in Sélestat, gerade mal elf Jahre alt, und dieses Ereignis muss den Vater schwer getroffen haben: Er beschließt, von nun an den Ort, wo das Grab seines Sohnes liegt, nicht mehr zu verlassen.
1934 wagt er ein persönliches Experiment: Er bezieht eine kleine Hütte am Taennchel und lebt fast ein Jahr lang als asketischer Eremit, um sich ganz der Naturbeobachtung und der malerischen Reflexion widmen zu können. Er hätte sich keinen besseren Ort suchen können: Der Taennchel ist der mysteriöseste und auch ursprünglichste Berg der Vogesen. Ein breitschultriges Massiv von fast tausend Metern Höhe, in dessen Gipfelregion sich zahlreiche bizarre, teilweise mit Inschriften verzierte Steinformationen und Mauerwerke finden. Sucht man bei Google, weist gleich das erste Ergebnis auf eine Seite, die geheimnisvoll vom „Landschaftstempel aus der matriarchalischen Kulturepoche“ raunt, von „heiligen Bezirken“ und „verzauberten Orten“, von Quellen „mit außergewöhnlichen Qualitäten“ und „Regenbogenbrücken, die die Feen übers Tal bauten“. Betrachtet man die begleitenden Bilder, versteht man freilich auch, warum dieser Ort zu solchen mystischen Anwandlungen verleiten kann.
Fiebigs kurzer Aufenthalt dort bringt ihm immerhin etwas lokale Prominenz: Die Einheimischen kennen ihn als „das Phantom vom Taennchel“, heisst es in diesem Heimatmagazin, und wundern sich über die „sehr bärtige und sehr behaarte“ Gestalt, die durch die Wälder stromert und sich dabei nur von einer Ratte begleiten lässt. Besucher seiner Hütte werden von diesem Schild empfangen:
Lieber Spaziergänger, was denkst Du? Man sagt mir, dass es unmöglich sei, den Winter auf dem Taennchel zu verbringen, wegen der Kälte und dem Mangel an Nahrungsmitteln. Und trotzdem bleibe ich hier; ich esse Brennesseln, ich trinke Regenwasser.
Nach dieser Beschreibung könnte man nun denken, einen skurrilen Sonderling vor sich zu haben, der sich mit esoterischen Spökenkiekereien beschäftigte. Aber die Bilder sprechen für einen sehr bewussten und aufmerksamen Umgang mit malerischen Möglichkeiten, einen konzentrierte Suche einer Versöhnung von Expressivität und Abstraktion, ohne die Verwurzelung in der impressionistischen Tradition ganz aufzugeben. Fiebigs Interesse schien mehr auf eine Verallgemeinerung statt Darstellung landschaftlicher Besonderheiten zu gehen, auf das Aufspüren eines Arsenals von archetypischen Formen und Farben. (Und man könnte einige seiner Taennchel-Gemälde neben Bilder legen, die er in Italien oder Südfrankreich gemalt hat, ohne die unterschiedlichen Entstehungsorte wahrnehmen zu müssen.)
Kargheit und Askese bleiben auch in den folgenden Jahren Fiebigs Begleiter: Nach dem Ende seines Taennchel-Experiments lebt er zurückgezogen und in bescheidenen Verhältnissen in Sélestat. Dort stirbt er 1953, „fast blind, arm und vergessen“, schreibt seine Biographin mit dem charmanten Namen Kyra Kapsreiter-Homeyer. Einige seiner Bilder sind, wenn ich es richtig sehe, im Museum Unterlinden in Colmar untergebracht.
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