Libraries might as well not exist; they’ve got endless shelves for rubbish and hardly any space for good books. – Joe Orton (1967)
Wenn man von hier aus neidisch auf den britischen Humor schaut, dann wird gerne übersehen, dass es auf den Inseln auch nicht immer so lustig zuging. Die Nachkriegsjahre zum Beispiel waren auch in Grossbritannien eine eher bleierne Zeit, geprägt vom Bemühen, eine restriktive Form von „Normalität“ zu reetablieren. So ab Mitte der Sechziger mehren sich dann die Versuche, der Gesellschaft mit den Mitteln der Farce wieder ein wenig Feuer unter dem Hintern zu machen und Scherz, Satire, Ironie und tiefer gelegte Doppeldeutigkeiten als anarchische Waffen zu reklamieren.
Joe Orton gehörte zu den erfolgreichsten Dramatikern des despektierlichen Blicks – ein Blick, der allem galt, was mit Establishment und Obrigkeit zu tun hatte. Gestern nun – auf den Tag 75 Jahre nach seiner Geburt und etwas mehr als 40 Jahre nach seinem gewaltsamen Tod – ist eine quasi-offizielle Website online gegangen, die Materialien zu Werk und Biographie Ortons präsentiert. („Quasi-offiziell“ meint: mit dem Segen der Nachlassverwalter Ortons, aber im wesentlichen wohl doch ein privates labour of love.)
Orton war in den Sechzigern einer der populärsten, aber auch skandalösesten Theaterautoren Englands. Seine Stücke waren absurde und makabre Screwball-Comedies, in denen Konventionen koppheister gingen und Autoritäten gleich serienweise vom Sockel gestossen wurden. Dass er bei uns selten gespielt wird, liegt nicht nur an der Sprachbarriere, die viele Wortspielereien und frivole Innuendos in der Übersetzung zum Stolpern bringt: Der fröhliche Umgang mit Versatzstücken der Populärkultur hat in der deutschen Theaterlandschaft nicht wirklich ein Pendant – Orton bediente sich, um die Gesellschaft blank zu ziehen, ganz gerne in den Genres, wo sie das selbst ansatzweise wagte, ohne sich recht zu trauen: Kriminal- und Gesellschaftsromane, Boulevardkomödien und Variétés, dazu die Klassiker des Camp wie Wilde und Firbank.
Nicht alles in Ortons Werk hat die Zeit unbeschadet überstanden: Sein Thema sind die absurden Konsequenzen, zu denen es kommt, wenn eine Gesellschaft verzweifelt versucht, einen Mantel verstockten Schweigens über das zulegen, was ihr peinlich ist – um dann doch heimlich drunterzulinsen und zu hoffen, dass nichts ins Rutschen kommt. Inzwischen ist freilich einiges ins Rutschen gekommen, dem Establishment ist nichts mehr so richtig peinlich, scheint es, und auf die Pikanterie von Ortons Plots hat sich hier und da schon ein wenig Patina gelegt.
Und wenn man das Unerhörte an Ortons Stücken aus heutiger Perspektive nicht mehr ganz so deutlich wahrnehmen kann, dann auch deswegen, weil er so viele Nachfolger gefunden hat: Das Schwelgen in der Ambivalenz von Trash und Trivialität und das Spiel mit dem Skandal ist längst ein festes Stilmittel des britischen Theaters, von der alternativen Comedy-Szene post-Monty Python ganz zu schweigen.
Hinzu kommt, dass Ortons Biographie und seine Stilisierung zur schwulen Ikone inzwischen fast mehr öffentliche Resonanz besitzt ist als sein Werk. Sein despektierlicher Blick auf Institutionen und Formalitäten hatte schließlich auch biographische Gründe: Als er mit dem Schreiben anfing, wurde Homosexualität noch mit Gefängnis oder Psychiatrie bedroht. Seine erfolgreichste Zeit als Bühnenschriftsteller geht einher mit der formalen Lockerung der einschlägigen Gesetze, während die Stigmatisierung in der Öffentlichkeit freilich nur punktuell nachliess. Kein Wunder, dass sich die Figuren in seinen Stücken oft benehmen wie im Irrenhaus (What The Butler Saw spielt ja auch in einem).
Dass er selbst mal für sechs Monate einsass, lag allerdings an seiner Neigung zum Prankstertum: Mit seinem Lover Kenneth Halliwell klaute er mehrere Jahre lang Bücher aus einer Bibliothek, nur um sie wenig später wieder zurück zu bringen – wenn auch mit kreativ veränderten Buchumschlägen und neuformulierten Klappentexten. Inzwischen hortet die Bibliothek die gegen ihren Willen umgestalteten Cover natürlich als Schätze – einige davon sind auf der Website abgebildet.
Das war nicht die einzige Uzerei, die sich Orton leistete: Unter dem Pseudonym Edna Welthorpe (Mrs.) schrieb er entrüstete Briefe an Zeitungen und Theater, an Unternehmen und Behörden, in denen er sich wortreich über den sittlichen Verfall, unmoralische Theateraufführungen oder die mangelhafte Qualität von Lebensmitteln beschwerte (Ortons eigene Stücke waren dabei von der Kritik nicht ausgenommen, die besten Skandale sind ja doch immer diejenigen, die man selber orchestriert).
1967 nahm Ortons Leben ein tragisches und grausames, wenigstens filmreifes Ende: Kenneth Halliwell erschlug ihn, wie es heißt, aus Eifersucht über den Erfolg Ortons und aus Angst, verlassen zu werden. Aber selbst dieses grausame Ende blieb nicht ohne bizarres Nachspiel: Seine Agentin veranlasste, dass die Asche Ortons mit der Halliwells vermischt würde. „Ich denke, ich werde etwas mehr von Joes Asche nehmen als von Kenneths“, antwortete Ortons Schwester Leonie. Worauf die Agentin zurückgab: „Es ist eine Geste, Liebes, kein Rezept.“ Auch Bruder Douglas signalisierte sein Einverständnis – unter einer Bedingung: „As long as nobody hears about this in Leicester.“
Ein Epitaph, dass Orton vermutlich amüsiert hätte.
(Anmerkung: Das Orton-Porträt oben stammt übrigens von Lewis Morley – wie auch das Original, das damit zitiert wird.)
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