Der WDR bringt einen Beitrag über Nueva Germania, das paraguayanische Dschungeldorf, das 1887 vom Nietzsche-Schwager Bernhard Förster gegründet wurde. Förster wollte dort eine arische Kolonie aufbauen, inspiriert von Schriften seines Idols Richard Wagner. Das Experiment geriet jedoch zum Fiasko, die Siedler kamen mit den Lebensumständen im Dschungel nicht zurecht, die Kolonie war bald pleite und Förster nahm sich 1889 das Leben. Elisabeth Förster, seine Witwe, versucht noch eine Zeit lang, Gelder zusammen zu trommeln, aber ohne Erfolg. Ihr Bruder Friedrich hatte schon 1886 jede Unterstützung abgelehnt: Er würde sich „über das Scheitern des antisemitischen Unterfangens freuen“, teilte er seiner Schwester mit. Förster sei „Agitator einer Bewegung, die zu drei Vierteln schmutzig und pervers“ sei. 1892 warf sie endgültig das Handtuch und ging zurück nach Europa, um sich um ihren erkrankten Bruder zu kümmern.
Nueva Germania gibt es allerdings heute noch. Von Försters spektakulären Visionen ist aber nicht mehr viel übriggeblieben, wie man Tom Nogas Bericht (und diesem Artikel) entnehmen kann. Das Dorf gehört zu den ärmsten Siedlungen Paraguays, das kleine Häuflein der Deutschstämmigen schlägt sich mit etwas Landwirtschaft durch und ist ansonsten peinlich darauf bedacht, sich nicht all zu weit mit den „Hiesigen“ einzulassen, obwohl unter den „Deutschen“ längst alle miteinander verwandt sind. In späteren Jahren sollen ein paar geflohene Nazis dort Unterschlupf gefunden haben, dass dazu auch Josef Mengele gehört hat, ist aber wohl nur eine Legende.
Seltsamerweise ist der WDR nicht alleine mit seinem Interesse für dieses gottverlassene Nest. Ein bißchen Googeln im Netz führt außer zum Industrial-Projekt mit diesem Namen auch zum amerikanischen Komponisten David Woodard. Woodard ist ein durchgeknallter Don Quijotte, der Hymnen auf Timothy McVeigh und Kim Jong Il schreibt, was aber bisher eigentlich niemand so richtig interessiert zu haben scheint. Außerdem will er mit Burroughs befreundet gewesen sein und bastelt für Kunden wie Kurt Cobain und Iggy Pop an Exemplaren der Dreamachine des Beat-Dichters Byron Gysin.
Woodard hat auch Wagner zu seinen Säulenheiligen erkoren, und bei der Beschäftigung mit dem Komponisten muß er auch irgendwie auf Nueva Germania gestoßen sein. Jedenfalls versucht er über seine Website, Interessenten für eine Wiederbelebung von Försters Projekt zu gewinnen. Nueva Germania sei in Wahrheit die Umsetzung – wenn auch gescheitert – der wagnerschen Vision einer eugenisch reinen Kolonie. Das ist natürlich Blödsinn: Wagner war zwar Antisemit mit Förster wollte er aber nicht viel zu tun haben. Was Woodard aber nicht viel ausmacht: Seine Website ist ein fast schon lustiges Konglomerat aus halbwahren und erfundenen Behauptungen – nichts, was man nicht mit ein bißchen Recherche im Internet widerlegen könnte -, aber immerhin hat er es geschafft, den Regisseur Kenneth Anger und den Schweizer Schriftsteller Christian Kracht (Faserland) für das Vorhaben zu interessieren. Kracht gibt für den Springer-Verlag die Zeitschrift Der Freund heraus, und druckt da in der aktuellen Ausgabe einen zehnseitigen Riemen Woodards über die Kimjongilia, die offizielle Blume Nordkoreas, das Woodard als eine Art asiatisches Sparta interpretiert.
Nueva Germania scheint für ihn ein südamerikanisches Bayreuth zu sein, jedenfalls will er das ehemalige Förster-Anwesen aufkaufen und dort als paraguayanischer Fitzcarraldo Opern- und Konzertaufführungen veranstalten. Seiner Heimatgemeinde Juniper Hills hat er das Projekt einer Partnerschaft aufgeschwatzt (wovon man dort allerdings nichts mehr wissen will), wofür es ein paar nette Worte vom Büro des Vizepräsidenten Dick Cheney gab.
Auf der Juniper-Hills-Website (die in Wahrheit, wie man am Seitentitel erkennen kann, wohl von Woodard betreut wird) gibt es ein paar Bilder von einem Besuch Woodards in Nueva Germania. Da sieht man ihn zwischen ein paar ausgemergelten Gestalten stehen und fragt sich insgeheim, was er denen wohl erzählt haben wird, jedenfalls sehen die nicht so aus, als ob die viel von Wagnerschen und Försterschen Visionen wissen wollen.
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