Rot-Grün hat die Wahl in NRW verloren. Das ist keine Überraschung. Keine Überraschung ist auch, dass es im politischen Feuilleton darob nur so klappert, dröhnt und rauscht.
Zum Beispiel bei Stefan Dietrich von der FAZ, der uns von einer „tektonischen Verschiebung“ raunt. Erdrutsch, politisches Beben, klar, kennt man, aber Dietrich zeigt schnell, dass er auch anders kann: Schröders „Instrumentenkasten ist ziemlich leer“, befindet er. Aber ein voller Kasten hätte ihm auch nichts genützt, denn selbst mit Besteck bracht der Kanzler nur „Notoperationen, die der Regierung keinen neuen Auftrieb gaben“, zustande. Und ohne Auftrieb blieben „Konsum, Konjunktur und Wählerstimmung am Boden wie der Wetterfrosch vor nahendem Gewitter“.
Wir fassen zusammen: Der Kanzler ein Notoperateur, der ohne Skalpell an bodenhaftenden Wetterfröschen herumflickt, und das bei Gewitter und Erdbeben. Kein Wunder, dass die restliche Regierung wie Frankensteins Kabinett wirkt: „Reformer Clement“ zum Beispiel, der „planwirtschaftliche Monstren im Gleichschritt in den Himmel wachsen“ läßt, oder die Grünen, die ihre „Spielwiesen pflegen“, auf denen dann wahrscheinlich die „sauersten Äpfel“ wachsen, in die Schröder nun hineinbeißen muß, um einer &quälend langen rot-grünen Dämmerung zu entgehen“. Saure Äpfel, in die man beißt, um der Dämmerung zu entgehen – was rauchen die eigentlich so in der FAZ-Redaktion?
Bei der taz gibt man sich dagegen auf einmal stocknüchtern: „Seit langem wird fast jede Landtagswahl zur Schicksalsfrage für den Bund hochgejazzt“, mault Bettina Gaus. Sie hat dagegen den Blues: Vom „Ende des rot-grünen Projekts“ zu sprechen, sei „gefühlter Firlefanz“. Die Formulierung ist natürlich eher authentischer Bullshit.
Aber egal, so ein bißchen rumjazzen will sie dann doch: Bei der Wahl in NRW ging es nämlich um nichts weniger als „den Kurs der so genannten Volksparteien – und somit um handfeste Machtfragen“, orakelt Gaus, und will schon mal wissen, dass „einige SPD-Linke keinen vernünftigen Grund mehr sehen, den bislang zähneknirschend eingehaltenen Burgfrieden weiterhin zu wahren“. Also, ich finde das ein bißchen viel verlangt von einer Parteilinken, die das zähneknirschende Einhalten von Burgfrieden geradezu erfunden hat.
Aber wen haben wir denn da noch? Sieh an, Heribert Prantl von der Süddeutschen. Und der ist in Hochform. „Der Tod ist etwas anderes als die Todesnähe“, schwadroniert er, denn der Rhein bei Düsseldorf war nie dem Styx ähnlicher als heute: „Wenn es wirklich so weit ist, ist alles anders – dramatischer, existenzieller“. Mir scheint, Prantl durfte den Kommentar zum Tod des Papstes nicht schreiben, jetzt hat er seinen geplanten Text einfach umgebaut: „Die Wucht des Ereignisses wirft auch diejenigen Sozialdemokraten um, die sich gewappnet hatten und gewappnet glaubten.“
Prantl wäre aber ein schlechter Virtuose des Feuilletons, wenn er nicht nach all dem Drängen und Dräuen doch einen schmissigen Rhythmus-Wechsel hinbekäme. Neuwahlen heißt das Stichwort: „Das ist ein Coup, das soll die letzten Reserven mobilisieren, das soll die Partei disziplinieren, das soll von der Wahlniederlage ablenken.“ Jawohl, das hat Schwung, das geht ab, das macht Laune. „Neuwahlen – das ist Angriff, das ist Poker um die Macht, das ist Spekulation auf Turbulenzen.“ Doch während der sozialdemokratische Leser schon mit Ufftata und klingendem Spiel um den Reichstag ziehen will, ist Prantl wieder beim Wigalaweia: „Solange Wahlkampf ist, ist noch Hoffnung, und wenn es nur die auf ein Wunder ist.“
Also schnell weg, bevor er beim Spekulieren in noch heftigere Turbulenzen gerät. Aber in der Zeit hat Karsten Polke-Majewski (entfernt wohl verwandt mit Dieter Marsch-Radetzky) auch eine harte Landung: „Merkel, Stoiber, Koch, Müller – das sind die wichtigen Tangenten der Union“. Sieh an, ich hätte jetzt gedacht, die befänden sich im Zentrum der Macht, so mit Schalthebeln und so, aber man kann sich ja täschen. Jedenfalls, so Tangenten sind schon wichtig, denn „die Achse verschiebt sich: hin zum Arbeitnehmerflügel“. Wenn selbst die Geometrie verrückt spielt, helfen nur letzte Gewißheiten: „Nordrhein-Westfalen ist nicht Bayern“. Danke, Herr Tango-Masurski.
Was soll man da als Fazit ziehen? Vielleicht das von Robert Leicht? „Düsseldorfer Schock – Berliner Schach“, sagt Leicht und spielt dann doch nur Hamburger Halma. „Eine große Koalition wäre sogar gut“ findet et, weil eine große Koalition nälich „wirklich etwas auf die Beine stellen“ könnte – „Verstand aller Beteiligten vorausgesetzt“. Da glaubt Leicht schon zwei Sätze später selbst nicht mehr dran, denn „dazu wäre vieles vorauszusetzen“. Deine Rede sei ja ja, nein nein, alles andere setzt zu viel voraus.
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