Der Corriere della Sera ist ganz außer sich vor Begeisterung über die letzte Etappe des Giro. Ein „Giro aus einer anderen Zeit“, sei das gewesen, schreibt Aldo Grasso, „ciclismo d’antan“, und fühlt sich erinnert an Zeiten, als der Radsport noch „im Gleichgewicht“ war, „unentzifferbar und nicht von Taktik zerdacht“. Was natürlich romantischer Unfug ist: Unschuldig war der Radsport nie, und mit Savoldelli hat ja gerade ein Fahrer gewonnen, der eher auf taktische Klugheit als auf Aggressivität und Kraft setzt.
Aber man kann die Begeisterung ja verstehen: Die vorletzte Etappe hatte alles, was ein echtes Epos braucht. Den mörderischen Anstieg zum Colle del Finestre mit dem fast zehn Kilometer langen Abschnitt über Schotterstraße, Temperaturen um die dreißig Grad, den beherzten und dann doch erfolglosen Angriff des Trios Simoni, Di Luca und Rujano auf Spitzenreiter Savoldelli, Simonis fünf Minuten im rosa Trikot, Schweiß, Staub, Krämpfe: Wollte man jemandem erklären, was am Radsport so faszinierend ist, ein Video der letzten Stunde dieser Etappe würde ausreichen. Nicht ganz unschuldig an der nostalgischen Verklärung ist natürlich die RAI, die immer wieder auf Schwarz-Weiß-Bilder schaltete, während die Radler sich die Schotterpiste hochkämpften.
Insgesamt hat der Giro auch in diesem Jahr wieder gezeigt, dass er, was Anspruch und Niveau der Streckenführung angeht, keineswegs hinter der Tour zurückstehen muß. Die diesjährige Ausgabe dürfte überhaupt eines der schwierigsten Rennen gewesen sein, das in den letzten Jahren im Radsport gefahren wurde. Der Spannung tut das nur gut: Ein Dominator wie Lance Armstrong ist beim Giro nicht abzusehen. Die Favoriten Cunego und Basso brachen ein, von Cunego war nach den Dolomiten überhaupt nichts mehr zu sehen. Basso holte sich wenigstens zwei Etappenerfolge, war aber gestern auch mit seinen Kräften am Ende.
Angesichts der Härte des Kurses ist der Sieg von Savoldelli allerdings wirklich eine Ãœberraschung, ich hätte da einen angriffslustigeren Fahrer vorne erwartet und fast wäre das Simoni ja auch gelungen, wenn ihm nicht im Schlußanstieg die Luft ausgegangen wäre. Dass er dann dem couragierten Rujano den Sieg madig machte („Am Finestre haben ja nur Di Luca und ich gearbeitet.“), paßt dann wieder ins Bild des schlechten Verlierers, das er schon öfter abgegeben hat. Savoldelli dagegen gibt sich bescheiden: „Ich bin keiner der großen Giro-Champions, denn die haben in den Anstiegen attackiert und damit für die große Show gesorgt. Am Fuß des Finestre hatte ich Bammel, weil es so schnell ging, und ich hätte nicht mehr gedacht, dass ich es noch schaffe.“
Ãœberhaupt war’s ein Giro der Ãœberraschungen: Das Comeback der beiden Veteranen Simoni und Savoldelli, Di Lucas überragende Zähigkeit in den Alpen (hätte einen Ehrenplatz auf dem Podium verdient) und der sensationelle dritte Platz des Newcomers Rujano. Bei den Sprintern die merkwürdigen Probleme von Petacchis Fassa-Zug (mit der slapstickreifen Geradeausfahrt in den Kurven von Marina di Grosseto). Am überraschendsten aber vielleicht, dass es am Ende tatsächlich die Einzelleistungen und nicht so sehr die Mannschaften waren, die die ersten zehn Plätze entschieden haben. (Aus deutscher Perspektive kann man dagegen wieder nur den Kopf senken, respektabel der 12. Platz von Fothen, aber das war’s. T-Mobile? Startgeld abgeholt, mitgerollt und heimgefahren.)
Wie sagt der Corriere: „Comunque è stato bello.“ Das kann man so stehen lassen.
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