Paris brennt, und man schaut schockiert auf das Spektakel, das sich da bietet. Sicher, es ist nicht das erste Mal, dass es irgendwo in den Vorstädten kracht, aber wenn Paris in Flammen steht, dann hat das einen anderen Stellenwert, als wenn das in Bradford, Eindhoven oder Strasbourg passiert. Und man ahnt, dass man eigentlich gar nicht erstaunt sein dürfte über die Aggression, die da sichtbar wird.
Die kommt ja nicht aus dem Nichts. Man muß sich nur in unseren Trabantensiedlungen umschauen: Frustration, Gewaltbereitschaft und Aggressivität sind auch da im Übermaß vorhanden. Nur werden die Konflikte in der Regel untereinander ausgetragen, und das interessiert dann außerhalb niemand, höchstens wenn man mit leichtem Grusel den Raps von Bushido oder Aggro Berlin zuhört.
Das müßte man vielleicht öfter und genauer tun. Dann würde man zum Beispiel hören, dass die Geschichten, die da erzählt werden, aus einer Welt kommen, aus der sich Staat und Gesellschaft weitgehend zurückgezogen haben oder höchstens noch als apathische, langweilige und gleichgültige Institutionen wahrgenommen werden.
Der „interesselosen Bereitschaft zur Gewalt“, die die NZZ bei den marodierenden Jugendlichen erkannt haben will, steht eine Interesselosigkeit des Staates gegenüber, der sich in den Banlieues fast nur noch da zeigt, wo es nicht mehr anders geht – und dann mit der Schlichtung der Konflikte naturgemäß überfordert ist.
In Frankreich gibt es die Idee einer „police de proximité“, einer Polizei, die wieder näher an die Menschen heranrückt und als nachbarschaftliche Institution wahrgenommen werden kann, nicht als sporadischer Feind. Sarkozy hat für solche Konzepte wenig übrig. Er sieht die Randalierer lieber als „Pack“ und „Gesindel“: Das macht es einfacher, kurze Prozesse duchzusetzen, statt über Lösungen zu diskutieren. Aber im Grunde dokumentiert seine Wortwahl nur das Ausmaß der Hilflosigkeit, mit der der Staat der Gewalt in den Banlieues gegenüber steht: Es gibt keine Konzepte, weil man vor der Komplexität des Problems kapituliert hat.
Die Unruhen werden irgendwann aufhören. Aber was wird sich dann ändern? Die Polizei wird sich eher noch weiter zurückziehen, und allenfalls an den Punkten Präsenz zeigen, wo der Kostenaufwand tragbar erscheint. Polizeiwachen und Schulen werden eher geschlossen als renoviert, weil das Geld dazu fehlt. Sicher ist, dass dieser Herbst nicht der letzte gewesen sein wird, in dem irgendwo die Vorstädte brennen.
Schreiben Sie einen Kommentar