Ein Stückchen schwarzlasierte Terrakotta, gerade mal so groß wie eine Briefmarke, ist die älteste Landkarte der Welt. Die Tonscherbe, nach ihrer Fundstelle als „Soleto-Karte“ bezeichnet, stammt ca. aus dem Jahr 500 v. Chr. und zeigt die Ferse des italienischen Stiefels: Die Region um die apulische Stadt Lecce, die für die Griechen das japygische Kap war und heute als Salento bezeichnet wird.
Die Beschriftung ist in griechischer Schrift, und auf der linken Seite der Karte ist deutlich Taras zu lesen, der griechische Name Tarents. Die anderen Ortsbezeichnungen nennen dagegen vor allem messapische Namen – die Messapier waren ein Volk, das vor der Ankunft der Griechen in der Region siedelte. Aber wie auf heutigen Landkarten sind die Ortschaften bereits mit Punkten bezeichnet, und niedlich sind auch die Zickzacklinien, die das Wasser markieren. Eingezeichnet sind neben dem Fundort Soleto auch Orte, die es heute noch gibt, zum Beispiel Otranto oder Santa Maria di Leuca, nicht alle Punkte sind aber schon identifiziert.
Das Artefakt ist ein faszinierendes Dokument: „Das ist bisher im Mittelmeerraum, überhaupt in der westlichen Hemisphäre die älteste Karte, die einen realen Raum bezeichnet“, sagt der belgische Archäologe Thierry van Compernolle, der für die Universität Montpellier die Ausgrabungen leitete.
Damit ist erstmals auch ein echter Beleg dafür gefunden, dass die Griechen bereits vor den Römern Landkarten zeichneten. Man weiß zwar aus der griechischen Literatur, dass das Konzept einer Landkarte bekannt war, aber ein authentisches Exemplar war bis dieser Entdeckung nie gefunden worden. Zwar gab es auch in anderen Regionen des Mittelmeerraumes so etwas wie Landkarten, und auch die alten Chinesen hatten so etwas wie eine Kartographie. Aber unsere moderne Kartographie leitet sich von Techniken her, die im alten Griechenland entstanden, und vor allem von der pythagoräischen Entdeckung, dass die Erde rund ist. (Vielleicht ist es kein Zufall, dass Pythogaros gar nicht so weit entfernt lebte und lehrte, nämlichen im kalabrischen Crotone, auf der anderen Seite des Ionischen Meeres.)
Hinweis: Ich habe eine kleine Landkarte erstellt, die ein paar der bekannten Orte zeigt. Eine aktuellere Karte des Salento gibt es hier.
Via The Map Room. Hier gibt’s (auf französisch) ein paar Infos zu einer Konferenz über die Soleto-Karte, die im Frühjahr stattfand, der Daily Telegraph hat einen sehr ausführlichen Artikel, einen kürzeren (auf italienisch) die Gazzetta del Mezzogiorno.
(Siehe auch Die andere älteste Landkarte der Welt.)
Update: Ein niederländischer Archäologe hält die Karte für eine Fälschung. Siehe Trackback im Kommentar.
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