Italien ist der beste Ort für skurrile Politskandale: Wie soll das auch anders sein in einem Land mit einem megalomanen Bar-Chansonnier am Ruder, dessen möglicher Nachfolger sich wertvolle Tipps scheinbar beim Tischerücken holt? Berlusconis Herausforderer Romano Prodi steht im Zentrum einer seltsamen Diskussion um den Fall Aldo Moro.
Prodi soll gewußt haben, wo Moro versteckt gehalten wurde. Das behauptet Paolo Guzzanti, Chef einer parlamentarischen Untersuchungskommission zum Terrorismus und Mitglied von Berlusconis Forza Italia. Tatsächlich hatte Prodi dem Innenministerium damals einen Tipp gegeben und als mögliches Versteck den Namen „Gradoli“ genannt. Das ist ein kleiner Ort im Latium, in der Nähe des Bolsena-Sees. Dort suchte die Polizei aber vergeblich. Das tatsächliche Versteck wurde kurz darauf entdeckt – in der Via Gradoli in Rom.
Das ist schon ein komischer Zufall. Noch komischer ist aber Prodis Erklärung, wie er den Namen erfahren haben will: Mit Freunden habe er an einer spiritistischen Sitzung (aber nicht an mehreren, wie die Tagesschau meldete) teilgenommen, und da soll das Wort durch ein herumrutschendes Tellerchen gebildet worden sein. Das hat er schon 1981 vor einer Untersuchungskommission so erzählt und erst kürzlich vor Guzzantis Ausschuß wieder bestätigt.
Man muß allerdings hinzufügen, dass sich Prodis Aussage im Original weit nüchterner liest, als es die Spottverse vom „Harry Potter der italienischen Politik“, die jetzt in den Berlusconi-Medien angestimmt werden, vermuten lassen:
Es war ein regnerischer Tag, und wir haben das Spiel mit den Tellerchen gemacht. Eine Sache, die ich kaum kannte, weil es das erste Mal war, dass ich so etwas in der Art gesehen habe. Heraus kamen die Orte Bolsena, Viterbo und Gradoli. Niemand hat der Sache Beachtung geschenkt: Dann haben wir in einem Atlas gesehen, dass es ein Dorf namens Gradoli gibt. Wir haben uns gefragt, ob jemand vielleicht etwas weiß, und da niemand etwas wußte, habe ich es für meine Pflicht gehalten, die Sache weiterzuleiten, auch auf die Gefahr hin, lächerlich zu erscheinen, so wie ich mich jetzt auch fühle. Wenn es diesen Namen nicht auf einer Landkarte gegeben hätte, oder wenn Mantua oder New York heraus gekommen wäre, dann hätte das keiner weiter erzählt. Tatsache ist, dass niemand diesen Namen kannte, und darum habe ich es sofort weitergeleitet.
Die Geschichte ist also nicht wirklich neu, und mindestens ebenso alt wie Prodis Aussage ist die Vermutung, dass die Information gezielt lanciert wurde: „Es muß jemand, der am Tisch saß, schon vorher den Namen Gradoli gekannt haben“, schrieb der kommunistische Abgeordnete Sergio Flamigni 1998. Das vermutet auch Francesco Cossiga, damals Innenminister:
Ich bin der Ansicht, dass ein Teilnehmer der spiritistischen Sitzung diese Information von einem Angehörigen der zu der Zeit sehr breiten subversiven Szene in Bologna hatte, der wiederum den Namen von den Roten Brigaden oder ihrem Umfeld erhalten hat. Beim Weiterleiten der Information ist dann aus ‚Via Gradoli‘ ‚Gradoli‘ geworden. Die spiritistische Sitzung haben sie erfunden, um nicht gezwungen zu sein, den Namen der Quelle zu nennen.
Im Grunde sagt ja Prodi in seiner Aussage auch nichts anderes: Die Geschichte ist zwar lächerlich, aber ich habe es doch mal sicherheitshalber weitergeleitet – so könnte man seine Einlassung zusammenfassen. Das ist natürlich ein wenig dubios, aber doch nicht ganz so absurd wie seine politischen Gegner gern haben möchten. Wahrscheinlich sieht man in Italien die Geschichte darum auch relativ gelassen (und vom „Druck“, den die Tagesschau ausgemacht haben will, ist nicht so sehr viel zu spüren).
Für die rechten Medien ist das zwar schon ein gefundenes Fressen. Hinter dem Spott über „Prodis Visionen“ steckt auch eine kaum verhohlene Anschuldigung, nämlich dass Prodi in den Siebzigern als Uni-Professor in Bologna enge Kontakte zum Umfeld der Brigate Rosse oder zur Sympathisantenszene gehabt haben könnte. Mit anderen Worten: Die Berlusconi-Fraktion spielt die übliche Schmierenkomödie. Zu der die Gegenseite allerdings auch eine kuriose Vorlage geliefert hat. Man kann über den Wahlkampf in Italien jedenfalls nicht behaupten, dass er langweilig wird.
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