Die Eschersheimer Landstraße ist eine architektonische Umsetzung der Internet-Ökonomie, denke ich, als ich an diesem saukalten Winterabend zum Handelsblatt-Haus stolpere und mir die Fassaden der Häuser anschaue: Der Telco-Konzern neben dem Blumenlädchen, die Unternehmensberatung über dem Schlüsseldienst, die Spielhölle schräg gegenüber von der Versicherung. Hier sitzen sie unvermittelt nebeneinander wie Websites im Browser, Majors und Mittelstand, Global Player und Einzelhandel, Hedge-Fund und Handwerk. Genau das richtige Umfeld für eine Diskussion über Blogs und Medien.
Medienmittwoch also, schon wieder so ein Event, wo der Wochentag herhalten muß: Webmontag, First Tuesday, all das hatten wir doch schon, und jetzt fänd ich ja mal so eine Jean-Paul-Nomenklatur lustig, 15. E-Commerce-Hundsposttag oder XXI. OpenSource-Trinitatissektor, das wär doch schick. Wenn der Name schon nicht originell ist, dann muß wenigstens der Titel der Veranstaltung klingeln: Weblogs: Revolution des Journalismus oder überschätztes Phänomen? Darauf einen Dujardin. Ich staune ja immer wieder über den Optimismus, der manche glauben läßt, in der Branche sei tatsächlich noch so etwas wie Revolution möglich, und halte eigentlich viel eher den Journalismus für ein überschätztes Phänomen, aber egal.
Als sensationsgeile Blogratte bin ich natürlich auch nur hier, weil ein Splatterfest versprochen war. Aber hier, in diesem anämischen Ambiente – zur Zeit bin ich irgendwie nur auf Veranstaltungen in Häusern, die wie Kreiskrankenhäuser aussehen – da kann das ja nichts werden. Um es gleich zu sagen: Das Gemetzel wird ausbleiben, diskutiert wird in einem wohlerzogenen und leider auch ein bißchen vorhersehbaren Rahmen. Es wird, na ja, eher langweilig.
Das liegt aber auch daran, dass drei der Podiumsteilnehmer glatte Fehlbesetzungen sind – Keuchel von Google, Reichart von Burda, Glaeser von Yahoo haben Blogs bestenfalls mal von außen gesehen und was da so drin abläuft, interessiert die überhaupt nicht.
Bei den anderen drei Diskutanten gibt es da schon wesentlich mehr Substanz: Julius Endert vom Handelsblatt trägt es zwar im Eröffnungsvortrag ordentlich aus der Kurve – Martin Luther der erste Blogger! Herr Endert, dann haben wir das Schlimmste doch noch vor uns, Gegenreformation, Jesuiten-Missionen und Konkordat! – aber mir kommt es doch so vor, als ob da jemand wenigstens versucht, Blogs und alles, was damit zu tun, zu begreifen.
Christoph Schultheis vom Bildblog ist eigentlich auch eher ein Old-School-Journalist und gibt sich sympathischerweise keine Mühe, das irgendwie zu kaschieren. Der Bildblog ist ja wirklich ein gutes Beispiel dafür, wie journalistisches und bloggendes Schreiben zusammenkommen können. Da gibt’s vielleicht manche, die das nicht mehr Blog nennen möchten, aber das sind so definitorische Spiegelfechtereien, die ich für wenig sinnvoll halte.
Bleibt noch Don Alphonso, der einzige richtige Blogger auf dem Podium, und auch der einzige hier, der das Thema schon mal auf eine grundlegende Weise abgearbeitet hat. Da muß er auch nichts wirklich Neues erzählen, nur dass er es hier halt netter macht als in seinen Texten, von zwei, drei gezielten Seitenhieben mal abgesehen, aber die gehen auch gar nicht wirklich auf die Anwesenden (Chapeau aber dafür, die Herren von Google und Yahoo mit der Erwähnung von ein paar China-Aktivitäten zumindest ein bißchen ins Schlingern zu bringen). Was er über Mikroöffentlichkeiten, Blog-Monitoring und Corporate Blogs zu sagen hat, das kann ich auch nur unterschreiben, eher uninteressant find ich dann, dass er auch der Versuchung erliegt, Blogs definitorisch eingrenzen zu müssen. In diesem Rahmen hier wirkt seine Sicht des Blog als einer Art literarischer Form fast schon rührend idealistisch. Das kann und darf ein Blog ja gerne sein, aber wenn ich mich so umschaue, ist das Spektrum wesentlich breiter und wächst auch noch. Warum überhaupt eingrenzen, was immer noch im Gang ist?
Es ist doch auch so, dass nicht nur die Medien sich zur Zeit mit Umarmungsgesten auf die Blogs zu bewegen, so eine ähnliche Tendenz kommt ja auch aus den Blogs selbst, hin zu einer Strukturierung oder Professionalisierung dessen, was man da tut. Ein bißchen erinnert mich das an die Fanzines aus der Punk- und New-Wave-Zeit: Das waren auch nicht mehr als schnell hingeworfene, subjektive, meinetwegen auch dilettantische Statements zur Zeit. Dann hatten die Leute gelernt, wie man schreibt und publiziert, zu den fotokopierten Heftchen kamen aufwändigere Magazine, Musik- und Lifestyle-Zeitschriften übernahmen Layouts, Ansprache und Inhalte und irgendwann sickerte einiges davon auch in den Mainstream durch. Entlang dieser Skala werden sich auch die Blogs entwickeln, behaupte ich mal.
Aber gut, ich bin hier schon zu lange rumgestanden, langsam tun mir die Beine weh. (Warum organisiert man so ein Event denn wie einen Stehempfang? Wieso gibt es keine Stühle hier? Warum gibt es nichts mehr zu trinken?) Im Publikum melden sich die ersten verwirrten Geister, die Podcasts verkaufen wollen und Social Business Networks, und da mach ich mich lieber mal auf den Weg. Vor der Tür hat ein Schneeregen begonnen, und den Boden überzieht eine blankpolierte Eisschicht. „Uff“, sagt jemand hinter mir, der auch ein Blogger sein könnte, „pass auf, dass de net auf die Schnauze fällst.“ Ich bin nicht gemeint, aber ich geh trotzdem langsam Richtung Eschersheimer Tor, vorbei am Internet-Café, das „Virus“ heißt, und cem „Cinestar“ mit seiner mißgestalteten Fassade. In drei Stunden bin ich daheim.
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