Matera


Matera

Von der Anhöhe auf der gegenüberliegenden Seite der Schlucht (da, wo Mel Gibson die Kreuzigungsszene gedreht hat) sieht die Stadt aus wie ein verlassener Ameisenhaufen, den man einmal quer in der Mitte durchgeschnitten hat, um in die Gänge, Tunnels und Kanäle zu schauen. Vor allem auf der Seite, wo oben die modernen Wohnbauten zu sehen sind, die in den Fünfzigern und Sechzigern entstanden, als man die Stadt zur nationalen Schande erklärte, die Höhlenwohnungen der Sassi zwangsevakuierte und die Bewohner in die neugebauten Viertel verfrachtete.

Caterina, die einige ehemalige Höhlenbewohner kennengelernt hat, erzählte uns, dass einige von ihnen es jahrzehntelang vermieden haben, zu den Grotten zurückzugehen. Und das, obwohl sie sich anfangs mit Händen und Füßen gegen die Zwangsumsiedlung gesträubt hatten. Aber die Demütigung, von Medien und Politikern als vergogna beschimpft worden zu sein, saß zu tief.

Dabei wirken die Sassi alles andere als düster: Die Sonne steht mittags so steil über der Stadt, dass sie jeden Winkel ausleuchtet, und auch die verlassenen Ruinen liegen hell und freundlich vor einem. Man kann sich kaum vorstellen, dass hier einmal die Malaria gewütet haben soll, dass es aus den offenen Kloaken nach Abfällen und Exkrementen stank. Das ist lange her, und heute hat man das Gefühl, durch die Ruine einer riesigen Burganlage zu gehen.

Matera

Denn die Stadt ist leer, kaum jemand ist zu sehen auf den Straßen. Auch anderswo in Süditalien kann es ruhig und still sein, um die Mittagszeit, wenn alles in die Häuser flieht. Aber hier, in der Altstadt von Matera, scheint immer Mittagszeit zu sein, die wenigen Menschen, die man sieht, blinzeln einen eher verwundert an, als ob sie selbst nicht so recht erklären könnten, was sie hier eigentlich machen. Auch die zentrale Piazza Veneto wirkt viel ruhiger und weniger geschäftig als sonst Plätze in Italien, aber das liegt auch daran, dass sie viel zu groß geraten ist und sich unförmig zwischen den Häusern drumherum und den Betoninseln in der Mitte hindurchzwängen muss.

Manche sagen, diese Stadt schläft nur, aber Caterina meint, so richtig wach wird sie auch nicht mehr. Die Künstler, die in den Neunzigern die leeren Grotten als Ateliers wiederentdeckten, haben den Sassi nicht wirklich neues Leben eingehaucht. Griesgrämig sitzen sie vor ihren Höhlen und verkaufen selbstgeschnitzte Sandsteinskulpturen oder bewachen eine Kirche, die grade restauriert wird. Die Gelder, die von der UNESCO kamen, als die Höhlen zum Weltkulturerbe erklärt wurden, und mit denen man einen archäologischen Museumspark anlegen wollte, sind längst in irgendwelchen dunklen Kanälen versickert. Touristen kommen ab und an, aber für die großen Besucherströme liegt Matera zu weit ab vom Schuß. Die Küste ist zwar nah, aber die Basilicata ist arm und hat nicht viel Geld für eine aufwändige touristische Infrastruktur, das gilt auch für Nachbarin Apulien, da tut sich zwar ein bißchen was, aber mehr an der Adria und die ist von Matera auch zu weit weg.

Also schlummern die Sassi vor sich hin, und auch die Höhlen auf der anderen Seite der Stadt, in der tiefen Schlucht unterhalb der Anhöhe. Viele von ihnen sind als Kirchen genutzt worden, von den Basilianern, Eremiten, die im 9. und 10. Jahrhundert aus Kleinasien herüberkamen und der Basilicata ihren Namen gaben. Um die grandiosen Wandgemälde, mit denen sie die Grotten ausmalten, kümmert sich kaum noch jemand, manche Höhlen sind zwar mit Metalltoren versehen worden, aber die sind verrostet oder defekt und leicht zu knacken von den Jugendlichen, die sich hier treffen, um heimlich zu kiffen oder zu vögeln.

Wir standen oberhalb der Schlucht, auf dem Busparkplatz am Belvedere, es war so gegen 17 Uhr, und weil es März war, stand die Sonne um diese Zeit schon recht tief. Und dann tat die Stadt für ein paar Augenblicke so, als wäre sie mehr als nur ein Ensemble alter Ruinen. Sie verfärbte sich, wurde erst gelb und dann golden, und der leichte Dunst, der von den Gewerbegebieten herüberzog, gab dem ganzen noch einen matten, träumerischen Glanz. Das war einer dieser Momente, die zu schön sind um wahr zu sein, als ob die Stadt sich tatsächlich leicht räkeln würde, und tief Luft zu holen und dann mit einem lauten Seufzer wieder aufzuwachen. Es läuteten aber nur einige Kirchenglocken, und dann ließ unser Fahrer auch schon den Motor anlaufen.

Im April werde ich wieder nach Matera fahren.

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