Carofiglio


Carofiglio
Normalerweise mache ich um Krimis, die von Richtern, Anwälten oder Polizisten geschrieben werden, einen weiten Bogen. Wer einen Fall in Argumente kleiden kann, der kann ihn noch lange nicht erzählen. Bei Gianrico Carofiglio ist das aber anders: Da haben wir einen Autor, der ganz einfach etwas erzählen möchte, und dass er dazu noch die nötige Sachkenntnis besitzt, ist ganz praktisch, aber nicht wirklich notwendig.

Ich kann das, muß ich zugeben, allerdings nur aufgrund des ersten Eindrucks sagen, den ich auf seiner Lesung heute im Italienischen Kulturinstitut gewonnen habe. Die Lesung fand im Rahmen der lit.Cologne statt, und hingegangen war ich eigentlich nur deshalb, weil Carofiglio als Staatsanwalt aus Bari und Anti-Mafia-Kämpfer angekündigt war. Da ich in ein paar Wochen wieder nach Apulien fahren muss, habe ich gedacht, vielleicht gibt’s ja ein paar interessante Dinge zu hören.

Erwartet hatte ich also eher einen trockenen und von Aktenordnern leicht angestaubten Beamten, und war dann angenehm überrascht, als da auf der Bühne ein charmanter Plauderer saß, der kenntnisreich und schlagfertig über seine schriftstellerische Arbeit erzählte, dabei jeden Verdacht zurückwies, das bloß als nettes Hobby zu pflegen, und nebenbei noch mit süditalienischer Höflichkeit die Peinlichkeit hinnahm, dass die Organisatoren zu faul waren, seinen Namen richtig zu anzukündigen (Gian C. Carofiglio stand auf den Eintrittskarten, und lit.Cologne-Veranstalter Edmund Labonté redete ihn hartnäckig als Gianfranco an).

Angenehm überrascht war ich auch von den Kapiteln, die aus seinem ersten Roman vorgestellt wurden: Testimone inconsapevole, was eigentlich Der nichtsahnende Zeuge heißen müßte, die deutsche Ausgabe muß jetzt aber den nichtssagenden Titel Reise in die Nacht tragen, und ich ahne mal, dass das mit der Geschichte so viel zu tun hat wie Céline mit einem Reiseführer über Paris.

Carofiglios Buch hat so ein vorgetäuschtes Pathos nicht nötig, sondern ist ein solider, sauber gearbeiteter Krimi. Er kokettiert zwar ein bißchen damit, dass er eigentlich einen Bildungsroman habe schreiben wollen, aber das sagt er wahrscheinlich nur, um höflich zu sein und ein deutsches Wort in die Runde zu werfen. („Ich würde gerne deutsch zu ihnen sprechen, weil das meine vierte Sprache ist. Leider kann ich nur drei.“) Bei der Frage nach den literatischen Einflüssen hält er sich zurück, nennt dann aber doch vor allem amerikanische Autoren: Carver, Steinbeck, Hemingway, und Dürrenmatt, Dostojewski und Kafka nimmt er dann auch noch dazu. Den amerikanischen Einfluss merkt man vor allem in den Dialogen, wobei Filme da vielleicht noch eine größere Rolle gespielt haben als Texte, und sicher auch die jahrelange Praxis von jemand, der schon von Berufs Gespräche und Verhöre führen muss: Die erste Begegnung zwischen den beiden Hauptfiguren des Buches, dem Anwalt Guido Guerrieri auf der einen Seite und dem zu Unrecht verdächtigten Immigranten Abdou Thiam andererseits, ist sehr gekonnt inszeniert, und man merkt wirklich die peinliche Spannung zwischen dem einen, der noch nicht so richtig weiß, was er anfangen soll mit diesem Fall, und dem andern, der genug hat von Anwälten, die nichts mit ihm anfangen können, nur mit seinem Geld.

Dass Carofiglio auch selbst ein angenehmer Gesprächspartner ist, kann man nach der Lesung erleben, als er mit Witz und Selbstironie von seiner späten Schriftstellerkarriere, von den Reaktionen des Publikums und der Kritiker berichtet. Um eine der spannendsten Fragen drückt er sich allerdings ein bißchen herum, nämlich wie Kollegen, Vorgesetzte und Mitarbeiter in anderen Institutionen auf sein Buch reagieren – immerhin gibt es darin auch einige Anspielungen auf Mißstände in der Justiz, auf korrupte Anwälte oder prügelnde Polizisten, und dass er einen Rechtsanwalt als Hauptfigur wählt, also jemanden, der es eher mit dem Verdächtigen halten muss, ist bei einem Staatsanwalt ja auch ganz interessant. Da antwortet er dann aber doch eher diplomatisch: Wer sich in die Gedankenwelt seines Gegenübers einfühle, mache einen besseren Job als jemand, der nur von außen oder oben herab bewerte. Und die Reaktionen anderer Mitarbeiter der Justiz? „Die interessieren mich nicht.“

In Italien gibt es mittlerweile einen zweiten Krimi mit Guerrieri (Ad occhi chiusi), ein dritter erscheint demnächst, und zwischendurch hat Carofiglio sein Projekt eines Bildungsromans dann doch realisiert, mit Il passato è una terra straniera. Deutsche Übersetzungen sind angeblich auch schon in Vorbereitung. Vielleicht kennt man bis dahin bei der lit.Cologne auch Carofiglios richtigen Vornamen.

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