Quersumme des Lebens


Eagleman

Das charmanteste Buch über Leben und Tod, das mir in diesem Jahr begegnet ist: Fast im Jenseits: Oder warum Gott Frankenstein liest von David Eagleman. Lassen Sie sich von der gestelzten Humorigkeit des deutschen Titels nicht täuschen, dies ist ein cleveres Buch. Der Titel des englischen Originals trifft die Sache (und den Tonfall) besser: Sum: Forty Tales from the Afterlives.

Sum wie in „Summe des Lebens“, oder auf lateinisch „Ich bin“: In vierzig Miniaturen skizziert Eagleman, wie das Leben nach dem Tod aussehen könnte. Das sind nicht unbedingt vielversprechende Entwürfe. Vielleicht müsste man das ganze Leben noch mal leben, aber dann in säuberlicher Sortierung aller Erlebnisse: Erst zwei Monate nach Hause fahren, dann sieben Monate Sex, anschließend dreißig Jahre schlafen und fünf Monate Zeitschriften lesen auf dem Klo. Es könnte aber auch sein, dass das Selbst, das in der Nachwelt zu sich kommt, nur aus dem besteht, was sich aus den Kreditkartendaten rekonstruieren lässt. Oder dass man dort nur den Menschen begegnet, an die man sich erinnern kann. Auch Gott ist eine Möglichkeit, freilich in unerwarteten Formen – als Bakterium, das gar kein Bewusstsein von unserer Existenz hat. Oder als universaler Konzern, der sich längst über das göttliche Geschäftsmodell hinaus diversifiziert hat.

Erzählt werden diese lässigen Meditationen in einem halb lakonischen, halb naiven Ton, als wollte er den Jargon religiöser Traktate treffen, um ihn dann mit ein paar Drehungen ins Leere laufen zu lassen (etwa so wie das Henscheid mal mit seinen Meta-Anekdoten gemacht hat). Aber sein Panorama bizarrer Himmel und Höllen lässt ein paar Fragen aufscheinen, zu denen es die herkömmlichen Predigten übers Leben nach dem Tod meist gar nicht kommen lassen. Eagleman ist von Haus aus Neurowissenschaftler, Wahrnehmung, Bewusstsein, Neuro-Ethik sind Themen, zu denen er üblicherweise publiziert, und einiges davon hat in den Texten seine Spuren hinterlassen: Was ist dieses Selbst eigentlich, das wir ins Jenseits hinüberretten wollen? Inwiefern wäre das Leben nach dem Tod wirklich etwas, dass man „Leben“ nennen könnte? Welcher „Gott“ oder welche Instanz wäre dafür verantwortlich zu machen?

Das Buch hat sich im englischsprachigen Raum inzwischen zu einem Bestseller entwickelt, wenn auch mit etwas Anlauf und mit Unterstützung einiger illustrer Fans wie Brian Eno, Jarvis Cocker oder Nick Cave. Stephen Fry twitterte kürzlich eine Leseempfehlung, und als das Buch danach rasant in den Amazon-Charts nach oben kletterte, war das Verlag und Medien einen eigenen Hype wert. Tatsächlich könnte der Fry-Tweet ein cleverer Mini-PR-Stunt gewesen sein, schließlich gehört er neben Cocker, Cave und einigen anderen zur Besetzung eines Hörbuchs, das Eaglemans englischer Verlag Canongate demnächst auf den Markt bringen möchte.

Caves Beitrag (oder zumindest einen Auszug davon) kann man sich bei Audible UK schon mal gratis herunterladen (allerdings muss man erst ein Konto eröffnen). Eagleman selbst hat für den Radiosender KQED ein paar Kapitel eingelesen. Einzelne Kapitel gibt es u.a. beim Guardian, auf der Canongate-Website oder bei Eagleman selbst. (Hier in Deutschland scheint das Buch noch überhaupt nicht bemerkt worden zu sein, außer einer etwas bizarren Rezension in der Badischen Zeitung, wo man vom Buch aber nur die ersten zwei oder drei Kapitel gelesen zu haben scheint, finde ich nichts.)

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