Wo die Blumen sind


Blume

Man weist mich auf eine neue Website hin, und weil es um eine durchaus interessante Sache geht, geb ich das gerne mal weiter: Blumen.natürlich ist ein Projekt des Flower Label Programs (Design von dieser Truppe) und will ein bißchen mehr Aufmerksamkeit dafür schaffen, dass man Blumen wirklich nicht da kaufen muss, wo sie aus Afrika eingeflogen werden, mit dem Einsatz überflüssiger Chemie und/oder unter ausbeuterischen Bedingungen produziert werden. Pointe der Seite ist ein virtuelles Blumenfeld, in dem man kleine Textblümchen pflanzen, während dazu ein angenehm bukolischer Soundtrack von Wolfgang „Computerjockey“ Hagedorn durch den Äther rauscht.

Das ist sehr hübsch gedacht und ich würd’s auch gerne mögen, leider ist die Gestaltung für eine viral gedachte Idee ein bisschen zu flash-verliebt und zu umständlich (außerdem scheinbar auch ein bisschen buggy oder nicht für jeden Browser optimiert, meine selbstgepflanzte Blume wurde weder von mir noch von der beehrten Person wiedergefunden). Und die Texte auf der Plattform schwadern bisweilen arg durch die Botanik, anstatt auf den grünen Punkt zu kommen („Verhältnisse mögen Einsichten erzeugen, aber Einsichten verändern auch Verhältnisse …“ yada yada). Im Anlauf auf die Weihnachtstage auf jeden Fall gut zu gebrauchen ist das Verzeichnis der Geschäfte, die fair gehandelte Blumen verkaufen. Das sind, zumindest in der Nachbarschaft meines Büros, eine ganze Menge.

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Enttäuschend ist das vielleicht deshalb, weil das Projekt so wenig daran interessiert scheint, neue Zugänge zu den Themenfeldern zu finden, von denen es sprechen möchte. Für ein Projekt, dass sich um neue Formen der Nachhaltigkeit und Transparenz bemüht, ist es erstaunlich, wie wenig in den weitschweifigen Texten auf der Website tatsächlich die Rede ist von dem Markt, um den es geht, von den Waren, Strukturen und Menschen, die man dort findet. Immerhin ist das eine Branche, die auch in ihren nachhaltigsten Formen Landschaften und Infrastrukturen prägt. Daraus Bilder und Geschichten zu entwickeln, die ein bisschen mehr bieten als nur eine neo-kuschelige Spielwiese für die LOHAS-Generation (auch wenn die ein wenig slicker daherkommt als die übliche Fleurop-Werbung): Das wäre mal ein spannendes Projekt.

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Amy Stewart

Was die Blumenbranche so interessant macht, ist gerade der scheinbare Widerspruch, kleine Idyllen zu vermarkten, zu deren Produktion jedoch künstliche Welten gestaltet werden müssen, in denen natürliche Prozessee mit einem hohen Maß an Kunstfertigkeit und Effizienz reguliert werden müssen. Wie man solche Geschichten erzählen kann, auch wenn man mit einem kritischen Ansatz losmarschiert, zeigt Amy Stewarts Buch Flower Confidential. Das ist ein beeindruckender Querschnitt durch die amerikanische Blumenindustrie und ihre internationalen Verflechtungen, zahlen- und faktenreich, aber auch mit einem Gefühl für das Spektakuläre der Mechanismen und Prozesse, die vom Blumenfeld über die Markthalle ins Wohnzimmer führen. (Einige faszinierende Bilder aus dem Buch gibt es auf Stewarts Website zu sehen.

Blooming Business

Ein anderer Versuch, sich dem Thema zu nähern, ist der sehenswerte Dokumentarfilm A Blooming Business des Holländers Ton van Zandvoort. Der Film zeigt Ausschnitte aus den Lebens- und Arbeitsbedingungen von Arbeitern auf kenianischen Blumenplantagen. Kein Dokumentarfilm im üblichen Sinn, eher eine ruhige und zurückhaltende Betrachtung, die aus ihrer Einseitigkeit keinen Hehl macht, sondern als notwendige Perspektive behauptet. Die Idylle fürs Wohnzimmer entsteht hier in einer alptraumhaften Parallellwelt, aus der jede natürliche Farbe verschwunden zu sein scheint. Es gibt viele erschütternde Statements in diesem Film, oft mit erstaunlich zitierfähigem Nachdruck formuliert. Aber das ist nur ein notwendiger Kontrapunkt zu der beschaulichen Aphoristik, mit der die Welt des Blumenhandels so gerne wirbt. (Der Film tourt derzeit über diverse Festivals und ist Ende des Monats beim DOK Leipzig zu sehen.)

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Pescia

Comicent in Pescia. Quelle.

An diesem Monument des internationalen Blumenhandels bin ich eine Zeit lang fast wöchentlich vorbeigefahren: Dem Comicent in der italienischen Stadt Pescia, einer gigantischen Markthalle mit den Dimensionen eines Flugzeughangars, unübersehbar an der Bahnlinie von Florenz nach Lucca platziert (hier ein Satellitenbild). Die italienische Wikipedia widmet ihm sogar einen eigenen Artikel, Bilder sind online allerdings fast gar nicht aufzutreiben, und auch Informationen über die verantwortlichen Architekten Leonardo Savioli und Danilo Santi sind spärlich. (Immerhin finden sich, auch bei der italienischen Wikipedia, einige interessante Beispiele für Privathäuser, die Savioli entworfen hat, etwa hier, hier und hier.)

Das ist sehr schade, das Bauwerk ist durchaus ein beeindruckender Industriebau: Ein technoider Behemoth, ganz auf Funktionalität und Effizienz gestaltet, aber auch vom Willen, diese Aspekte nach außen hin zu demonstrieren. Ich habe es oft bedauert, dass es mir nicht gelungen ist, dieses Gebäude mal zu besuchen (was mit den unchristlichen Öffnungszeiten zusammenhängt: Der Markt öffnet regelmäßig um fünf Uhr morgens, und wenige Stunden später sind die meisten Aktivitäten schon gelaufen) Wie es der Zufall will, stoße ich dafür auf diverse Meldungen, die von finanziellen Schwierigkeiten des Konsortiums berichten, das den Blumengroßhandel in Pescia kontrolliert, und von Bemühungen, für das Riesengebäude ein tragfähiges Zukunftskonzept zu entwerfen.

Pescia und das Umland gehören zu den Zentren der amerikanischen Gartenbauindustrie. Wenn man in den Bergen hinter der Stadt unterwegs ist und in die Ebene schaut, sieht man die Dächer der tausend Treibhäuser wie eine Seenplatte glitzern. Eine künstliche Landschaft, deren Topohistorie noch zu schreiben wäre.

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