Ausstellungen, die andere Ausstellungen nachstellen, erinnern immer ein wenig an die Comeback-Tourneen alternder Rockstars. Vor allem dann, wenn es um Ausstellungen geht, die eine Zäsur markiert haben und als besonderes Ereignis in die Kunstgeschichte eingegangen sind: Was damals neu war, wird dann oft von einer nostalgisierenden Rückschau eingeholt, die Grenzüberschreitung wird zur Eingemeindung.
In der Photographischen Sammlung der SK Kultur gibt es derzeit New Topographics zu sehen, die Rekonstruktion einer legendären Ausstellung von 1975. Ursprünglich fand diese Ausstellung im amerikanischen Rochester statt, wo auch Kodak beheimatet ist, und zwar im George Eastman House, dem zum Museum umgestalteten ehemaligen Wohnhaus des Firmengründers. New Topographics: Photographs of a Man-altered Landscape sollte eine neue Perspektive der amerikanischen Landschaftsphotographie vorstellen: Weg von den neuromantischen Naturpanoramen eines Ansel Adams oder Minor White, hin zu einem nüchternen, unverklärten Blick auf Banalität und Alltäglichkeit amerikanischer Vorstädte und Industrieanlagen.
Tatsächlich hatte die Ausstellung eine bemerkenswerte Nachwirkung: Der Titel etablierte sich als Stilbegriff für neue Formen der Landschaftsphotographie, in denen Natur und Landschaft nicht mehr als unveränderlicher ursprünglicher Gegensatz zur Stadt inszeniert wurden, sondern die Stadt, urbane und bebaute Räume selbst als Landschaften entdeckt wurden. Zugleich sollte sich die „neuen Topographie“ jeder ideologischen Überfrachtung und Wertung entschlagen, sondern möglichst sachliche, dokumentarische Abbilder des Alltäglichen erstellen. Ein Vorbild war das 1972 erschienene Buch Learning from Las Vegas, in dem sich den Architekten Robert Venturi, Denise Scott Brown und Scott Izenour den Las Vegas Strip polemisch als Modelfall architektonischer Funktionalität und Pragmatik würdigten und gegen die elitäre Orthodoxie des etablierten Modernismus wandten.
Dass die Ausstellung von 1975 diese große Nachwirkung hatte, ist bemerkenswert, denn gesehen haben sie nur wenige Besucher – selbst von den ausgestellten Photographen ließen sich nicht alle in Rochester blicken. Zudem repräsentierte sie nicht eine geschlossene „Szene“: Die Photographen kannten sich untereinander nur zum Teil, und nicht alle waren einverstanden mit dem Label, das Kurator William Jenkins der Veranstaltung aufpappte. Man müsse eher davon ausgehen, dass der Begriff New Topographics „rhetorisch eingesetzt wurde, als ob es sich dabei um einen unversellen Standard handelte und nicht um eine Reihe von Ausgangspunkten, die eine Gruppe einzelner Akteure zu einem bestimmten Zeitpunkt locker miteinander verband“, wie Britt Salvesen in einem 2009 erschienen Buch zur Ausstellung schreibt. Die Patronage von Kodak hat der Nachwirkung aber sicher nicht geschadet: Nicht nur fand die Ausstellung am Hauptsitz des Konzerns statt, sie war auch ein Show-Case für Filme und Apparate (worauf in den Begleitmaterialien dezent hingewiesen wird).
Das Buch ist Teil der Zweitverwertung des Mythos: Seit 2009 ist die Ausstellung sozusagen auf Comeback-Tournee. Die „Rekonstruktion“, wie die Kölner Schau genannt wird, liefert allerdings kein komplettes Abbild des Originals, sondern eher einen komprimierten Remix: Zu sehen sind etwa zwei Drittel der Originalexponate. Dokumente zu Kontext und Rezeption der New Topographics sind leider sehr spartanisch, das scheint nicht an allen Stationen dieser Tournee der Fall gewesen zu sein. Learning from Las Vegas liegt in einem Glaskasten, der Ankündigungstext der Originalausstellung wird ebenfalls gezeigt. Dafür hat man in Köln die Gelegenheit genutzt, in zwei Nebenräumen Photographen auszustellen, deren Arbeiten durchaus in konzeptioneller Verwandschaft zu den „neuen Topographen“ stehen, nämlich Gus Kayafas und Chris Durham, außerdem hat man noch einige Exponate von Bernd und Hilla Becher – damals die einzigen nichtamerikanischen Vertreter auf der Ausstellung – aus der hauseigenen Sammlung ergänzt.
Aber trotz der Reduktion lohnt sich der Besuch. Denn bei aller Verpflichtung zur Neutralität und Sachlichkeit sind unterm Signum der „Neuen Topographie“ erstaunlich vielfältige Auseinandersetzungen mit künstlicher Natur und gemachten Landschaften möglich gewesen. Das Spektrum umfasst die wissenschaftliche Akribie der Bechers ebenso wie die malerische Eleganz von Stephen Shore oder die kuriosen Motel-Bauten, die John Schott fotografiert hat. In diesen Bildern zeigt sich, dass die Grenzen zwischen Natur und Zivilisation fließend sind und dass, zumindest ästhetisch, ein Vorrang einer ursprünglichen, „authentischen“ Natur über die „gemachten“ Landschaften der Industriegesellschaft unbegründet ist. Der Reichtum an Formen und Zeichen, den menschliche Produktivität hervorbringt, ist mindestens ebenso faszinierend und fruchtbar für die künstlerische Auseinandersetzung wie nur irgend eine Wald- und Wiesenszenerie, und die quaderförmigen Lager- und Fabrikhallen, die in den Gewerbegebieten aus dem Boden schießen, können ebenso mysteriös sein wie römische Tempelruinen.
Gleichzeitig zeigt die Ausstellung aber auch die Grenzen der „neuen Topographie“: Es gibt eine Tendenz zum bloß katalogisierenden Blick, und dazu, die Erscheinung für das Eigentliche zu nehmen und alle Spuren, die auf Prozess, Geschichte, Dynamik hinweisen könnten, so weit wie möglich zu tilgen. Auf einigen Bildern, etwa auch Nicholas Nixons Aufnahmen von Boston, wirken die fotografierten Gebäude ebenso zeitlos, erhaben und unnahbar wie die Gebirgslandschaften, die Ansel Adams fotografiert hat. Dass auf den Bildern fast nie Menschen zu sehen sind, gehörte zur postulierten Methode: Der Fokus gilt ganz dem fotografierten Objekt: Alltäglichkeit und Banalität waren Ausgangsmaterial und nicht Zweck der Stilisierung, zu viel echter Alltag stört da nur. Allerdings sind die Momente, wo Zeit, Vergänglichkeit und Geschichte dann doch in die Bilder eindringen, unter den spannendsten der Ausstellung: Zum Beispiel die Becherschen Photographien verfallender Kohlezechen oder in Joe Deals Aufnahmen der Suburbs von Albuquerque, wo gemachte und vorgefundene Landschaft noch hart aufeinanderstoßen.
Die Ausstellung ist noch bis zum 27. März 2011 in Köln zu sehen.
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