Chemotherapie vom Castel del Monte


Beim immer lesenswerten XKCD erschien gestern dieser Beitrag:

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Quelle: XKCD CC BY-NC 2.5

Das ist sicher ein cooler Fakt, aber im ersten Moment dachte ich beim „italienischen Schloss“ an den barocken Landsitz irgend eines dekadenten Duca, und sah vor meinem geistigen Auge, wie weißbekittelte Forscherteams im halb verfallenen und von Spinnweben umrankten Gebäude Schmutzreste zweifelhafter Herkunft von buntornamentierten Tapeten kratzen. Tatsächlich handelt es sich beim Schloß aber um eine der berühmtesten Burgen überhaupt, nämlich das Castel del Monte, die mysteriöse Burg Friedrichs II. in Apulien, über deren genaue Funktion auch heute noch gerne spekuliert wird.

Chemotherapie vom Castel del Monte

Im Umfeld der Burg wurden in den Fünziger Jahren Bodenproben entnommen, in denen man einen besonders interessanten Bakterienstamm fand, sogenannte Streptomyces. Streptomyces sind Mikroorganismen, die vor allem in Böden vorkommen; für die medizinische Forschung sind sie wichtig, weil sie Antibiotika produzieren. In den Fünfzigern suchte das italienische Unternehmen Farmitalia (ein Joint Venture des Chemie-Konzerns Montecatini und von Rhône-Poulenc) gezielt nach Streptomyces, von denen sich Mittel zur Krebsbekämpfung gewinnen ließen. Warum man ausgerechnet am Castel del Monte suchte, weiß ich nicht, vielleicht hielt man den Boden dort für besonders vielsprechend. Fündig wurde man in der Tat und entdeckte einen Stamm von Streptomyces, dessen Antibiotikum die Grundlage für die Entwicklung des Chemotherapeutikums Adriamycin bildete. Castel del Monte liegt nicht weit von der Küste der Adria entfernt, so erklärt sich der Name.

Castel del Monte

Das Antibiotikum selbst nannten die italienischen Forscher zunächst Daunomycin, und das produzierende Bakterium erhielt den Namen Streptomyces peucetius. Beides sind ebenfalls Bezeichnungen mit lokalem Bezug: Peuketier und Daunier waren zwei Volksgruppen, die in antiker Zeit in Apulien, im Gebiet der heutigen Provinzen Bari und Foggia siedelten. Der Name Daunomycin wurde später in Daunorubicin geändert: Eine Namensfusion, denn einer französischen Forschergruppe war es etwa zeitgleich zur italienischen Entdeckung gelungen, eine identische Substanz zu isolieren, die sie Rubidomycin nannten (nach den roten Pigmenten, die das Bakterium produziert). Adriamycin selbst ist ein halbsynthetisch produziertes Derivat des Daunorubicins und auch unter dem wissenschaftlichen Namen Doxorubicin geläufig.

Bei aller Wirksamkeit haben Daunorubicin und alle seine Derivate freilich auch erhebliche Nebenwirkungen. Die „erklären sich durch die wachstumshemmende und zellgiftige Wirkung bzw. den Wirkungsmechanismus von Daunorubicin“, schreibt Wikipedia.

Prinzipiell werden alle Gewebe, welche eine hohe Wachstums- bzw. Zellteilungsrate haben (Schleimhäute, Haare, Blutbildung in Knochenmark) bevorzugt geschädigt. Eine Besonderheit ist die Kardiotoxizität (Herzschädigung) von Daunorubicin, die ihre teilweise Erklärung in dem vermehrten Vorhandensein von Sauerstoff (Myoglobin, Durchblutung) und Eisen (katalytische Wirkung, Fenton-Reaktion) im Herzmuskel findet.

Risiken und Nebenwirkungen, die auf dem Transparent eines Werbefliegers keinen Platz haben.

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