Am Almaring


Am Almaring

Es gab eine Zeit, da hätte es hier nach Benzin und Abgasen gerochen, und die Luft wäre voll aufgewirbeltem Staub und von Motorenlärm gewesen. In den Siebziger Jahren war das, als es hier das Motodrom Gelsenkirchen gab, das von den Einheimischen auch „Almaring“ genannt wurde. Heute ist nicht mehr viel übrig von dieser Rennstrecke mitten im Ruhrgebiet: Die Asphaltdecke gibt es zwar noch, auch ein paar Streckenbegrenzungen und diverses Bric-à-Brac sind erhalten geblieben, aber das Areal ist inzwischen von einem dichten Wäldchen überwachsen. Ein Rad- und Fußweg führt unmittelbar daran vorbei, aber kein Hinweisschild erzählt davon, was sich da im Gebüsch verbirgt.

Almaring Gelsenkirchen

1969 war das Motodrom von der RAG ins Leben gerufen worden. Die Abkürzung steht in diesem Fall nicht für die Ruhrkohle AG, sondern für eine Organisation, die sich Rheinländische Altwagen-Gemeinschaft, später laut Wikipedia auch Rheinländische Autorenn-Gemeinschaft nannte. Gründer dieser RAG war ein Mann namens Anton Brenner, Motorsport-Fan aus Essen und lokaler Renn-Impresario, der „Ecclestone des Reviers“, heißt es im Buch Als Oppa Mopped fuhr„. Der Name der Altwagen-Gemeinschaft macht klar, was hier für Autorennen stattfanden: Kein glamouröser Rennsport mit schicken Boliden, sondern ein eher proletarisches Vergnügen. „Berühmtheiten fuhren auf dem Almaring nicht“, erzählte der ehemalige Rennfahrer Heinz Klaka, eine der Legenden des Motodroms, in einem Interview. „Das waren alles nur kleine Leute“, die ihre Autos „größtenteils selbst zusammengebaut“ hatten: „Für mich als Altmetallhändler war das finanziell und zeitlich etwas einfacher als für Fahrer mit anderen Berufen.“

Almaring Gelsenkirchen

Vor ein paar Jahren brachte das Rennsport-Fanzine Motor77 einen lesenswerten Artikel übers Motodrom, und schilderte in Wort und Bild die große Beliebtheit der Strecke: „Ganze rennverrückte Familien belagerten die Industriebrache an den Wochenenden“, heißt es dort.

Autos, Wohnwagen, Trailer, geblümte Klappstühle und Kühlboxen zauberten eine unverwechselbare Idylle. […] Lautsprecherdurchsagen, Heimorgelunterhaltungsmusik, Schwaden verbannten Benzins und Gummis in Einheit mit Grillfleisch und Holzkohle, wehende Goodyear-, Michelin und Schwarzweißkarierte Fahnen verliehen diesem Kleinod allwöchentlich an Sams- und Sonntage einen Hauch von Indianapolis-Flair.

Preisgeld wurde offenbar nicht nur für Siege bezahlt: „Man munkelt Überschläge wurden unter der Hand mit 50 DM honoriert.“

Almaring Gelsenkirchen

Im Grunde war das Motodrom ein frühes Beispiel für das, was Stadt- und Regionalplaner dann als „Strukturwandel“ bezeichnen sollten: Der Versuch, auf den Überbleibseln der Industrie, die das Ruhrgebiet hervorgebracht hatte, etwas Neues zu bauen. Der Almaring befindet sich nämlich auf einem ehemaligen Zechengelände, dem Standort der Zeche Alma, einer der traditionsreichsten Zechen des Ruhrgebiets, deren Geschichte bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts zurückreicht. Zu den Hauptgesellschaftern dieser Zeche gehörte anfangs eine französische Bergwerksgesellschaft, die auch für die Namensgebung verantwortlich sein dürfte: Alma ist der Name eines Flusses auf der Krim, ein paar Kilometer nördlich von Sewastopol. 1854 fand dort die erste Schlacht des Krimkrieges statt, in der die alliierten Franzosen und Engländer den verfeindeten Russen eine herbe Niederlage zufügten. Das löste wiederum in den Staaten der Sieger eine Welle patriotischen Überschwangs aus: In Frankreich wurden Dutzende von Straßen, Plätzen und Brücken nach dem unscheinbaren Flüsschen benannt, in England wurde Alma zu einem beliebten Mädchennamen. Im Ruhrgebiet bereichert er seither die seltsame Geographie, die von manchen Zechennamen des Reviers gebildet wird. Nicht weit vom Almaring liegen zum Beispiel auch Lothringen, Hannover, Schwerin und sogar der Mont Cenis.

Almaring Gelsenkirchen

Den Namen Alma behielt die Zeche auch, als sie 1877 von der Gelsenkirchener Bergwerks-AG (GBAG) übernommen wurde – einem Konzern, der in den Jahren nach dem Deutsch-Französischen Krieg die Konsolidierung der lokalen Zechen unter deutscher Führung anstrebte – und mit der benachbarten Zeche Rheinelbe zur Vereinigten Rheinelbe & Alma zusammengelegt wurde. Gut fünfzig Jahre später war auch die GBAG schon wieder Geschichte und ging in den Vereinigten Stahlwerken auf. Dort, wo sich später das Motodrom befinden sollte, entstand eine zentrale Kokerei – günstig am Schnittpunkt mehrerer Bahnlinien gelegen, und von 1927 bis 1963 in Betrieb. Das Verwaltungsgebäude der Kokerei steht noch heute, direkt neben der ehemaligen Rennstrecke: Ein interessanter Bau im Stil des Backsteinexpressionismus, entworfen vom Architektenbüro Schupp & Kremmer, das viele bedeutende Industriebauwerke konzipiert hat, unter anderem auch die Zeche Zollverein. Leider ist das Gebäude heute in einen ähnlichen Dämmerzustand verfallen wie das Motodrom: Es steht zwar unter Denkmalschutz, aber auch schon seit vielen Jahren leer, ist verrammelt und verriegelt und verfällt allmählich.

Ehemalige Kokerei Alma

Am Ende wurde der Kurs wohl ein Opfer seines Erfolgs: Anwohner beschwerten sich regelmäßig über den Lärm und über die Menschenmassen, die Woche für Woche zum Gelände pilgerten, das nur über eine einzige Sackgasse am Rande eines Wohngebiets erreichbar war. 1984 wurde der Almaring dicht gemacht, und dabei ist es bis heute geblieben. Vor einiger Zeit versuchte ein lokales Künstlerkollektiv ein Gedenkrennen auf der alten Strecke durchzuführen, aber offenbar konnte man sich mit den Eigentümern nicht einigen. Stattdessen gab es dann eine Videoinstallation im Gelsenkirchener Hauptbahnhof, deren Titel und Logo wenigstens ein bißchen an das Motodrom erinnerten.

Ehemalige Kokerei Alma

Hier und hier gibt es übrigens Filmaufnahmen von Rennen auf dem Almaring, im zweiten Fall sogar mit sehr authentisch wirkendem Soundtrack.

Almaring Gelsenkirchen

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