Schwanengesang


Der Schwan

Früher hieß es: Wenn ein Schwan stirbt, singt er mit letzter Kraft noch mal ein wunderschönes, trauriges Lied. Das geht zurück auf die griechische Mythologie und die Sage von Phaëton. Phaëton, der Sohn des Helios, war zu Tode gestürzt, als er die Kontrolle über den Sonnenwagen seines Vaters verlor. Sein Geliebter Kyknos klagte an den Ufern des Eridanos über den Tod des Freundes, und aus Mitleid verwandelte Apollon ihn in das Sternbild des Schwans.

Dass die toten Schwäne dieser Tage ausgerechnet auf Rügen gefunden wurden, ist dabei ein seltsamer Zufall. Denn auch die Schwestern des Phaëton klagten an den Ufern des Eridanos, und ihre Tränen, heißt es, verwandelten sich in Bernstein. Bernstein kommt in Europa vor allem an der Ostseeküste vor. Und weil der Eridanos in der Mythologie auch einer der Flüsse ist, die den Weltkreis begrenzen, ist immer wieder spekuliert worden, dass es sich um einen Fluss in Nordeuropa handeln müsse.

Die Memel könnte zum Beispiel gemeint sein: „Alter Eridanus“, nennt Herder den Fluß in seinem Gedicht An die Ostsee. Die gleichnamige Stadt (das heutige Klaipeda in Litauen) war eines der Zentren des Bernsteinhandels, und in der Antike glaubte man, dass sich hier der Sonnenwagen auf seiner absteigenden Bahn wieder der Erde nähere und die große Hitze die Bäume zum Schwitzen brächte.

Aber auch die Weichsel (beziehungsweise die Radaune, einer ihrer Zuflüsse) wird gerne genannt. Oder die Eider, die zwar in die Nordsee mündet, aber die Grenze zwischen Schleswig und Holstein markiert und damit die alte Südgrenze Dänemarks. Tatsächlich sind alle diese Flußläufe möglicherweise Restbestände eines alten, riesigen Urstromes, der vor der Eiszeit von Skandinavien entlang der heutigen Ostseeküste über Dänemark in Richtung der Niederlande floß und den die Geowissenschaftler darum Eridanus getauft haben.

Es gibt auch ein Sternbild namens Eridanus: In der Antike glaubte man, dass es den Schleuderkurs markierte, den Phaëton mit dem Sonnenwagen genommen hatte. Interessanterweise ähnelt es übrigens dem Flußlauf der Eider, und das ist für viele nur ein zusätzliches Argument, den antiken Fluß nach Schleswig-Holstein zu verlegen. Allerdings kann man von der nördlichen Hemisphäre aus nur einen Teil des Sternbilds erkennen, und in der Antike gab es auch keine Landkarten, die einen Vergleich von Sternbild und Flußlauf erlaubt werden.

Mit Dänemark und den Schwänen hat es auch noch eine besondere Bewandtnis. Im dänischen Reichswappen gibt es einen Schwan, der eine Krone um den Hals trägt: Der steht für die Ansprüche auf die Grafschaft Stormarn (und findet sich auch im Wappen des gleichnamigen Landkreises vor den Toren Hamburgs). Das skandinavische Kreuz in der dänischen Flagge wird gerne auch Kreuz des Nordens genannt, und das ist wiederum eine andere Bezeichnung für das Sternbild des Schwans. In Hans-Christian Andersens Märchensammlung gibt es einen kleinen Text, wo er Dänemark mit einem Schwanennest
vergleicht, und da wird einem klar, dass das Märchen vom hässlichen Entlein auch eine politische Bedeutung haben könnte.

(Nebenbei: Die dänische Flagge ist nicht nur eines der ältesten Nationalsymbole der Welt, sondern geht auch auf ein altes Kreuzritterzeichen zurück. Da bekommen die Demonstrationen in der arabischen Welt, vor allem das Anzünden und Verbrennen der dänischen Fahne, gleich noch einen ganz anderen Subtext.)

Aber bevor wir hier in allzu abseitige Fahrwasser geraten, sollte man nicht vergessen, dass es schon in der Antike Skeptiker gab, die vor allzu wilden Spekulationen über die Lage des Eridanus warnten. Herodot zum Beispiel:

Ich nehme nicht an, dass es da einen Fluss gibt, den die Barbaren Eridanus nennen und der sich ergiesst in das Meer nach Mitternacht, wo der Bernstein herkommen soll […].Denn erstlich beweist der Name Eridanus schon selbst, dass er hellenisch und nicht barbarisch ist, und irgendein
Dichter hat ihn erfunden; zum andern habe ich, trotz aller Mühe von keinem Augenzeugen erfahren koennen wie das Meer beschaffen ist in jener Gegend in Europa.

Und darum identifizierte er als Eridanus kurzerhand einen Fluß, über den er ausreichend Quellen zur Verfügung hatte, nämlich den Po. Da gibt es zwar keinen Bernstein, aber viele der Handelsrouten, auf denen Bernstein transportiert wurde, führten dort ans Mittelmeer.

Und auch am Mittelmeer singen ja derzeit die Schwäne.

(Mehr über Schwäne gibt es übrigens hier beim Ökologischen Jagdverein – was es nicht alles gibt.)

2 Antworten

  1. Also der Eridanus am Himmel wurde in seinem südlichen Teil erst im12. Jhd. von einem arabischen Astronomen Hartuschi ergänzt. vorher (also im Original) bestand Eridanus nur aus dem nördlichen Teil des Sternbildes. Dieser ist in unseren Breiten gut zu sehen und ähnelt nicht nur dem Flussverlauf der Eider sondern stellt den alten Flussverlauf (vor den Kanalisierungen im 19. Jhd.) exakt dar. Die Annahme, dass nicht kartographiert werden konnte ist nicht richtig. Gerade Wasserwege können durch die Verbindung von Punkten und Linien – wie in den Sternbildern – Standorte und einzuschlagende Kurse genau angeben. So entstand auch die Darstellung der Gegenden um den Eridanus herum und den Nordatlantikraum.

  2. Eigentlich wollte ich mich nur über die Bedeutung von „Schwanengesang“ informieren und nach Übertragungen für „Schwanen-“ forschen. Auch das Verb „schwanen (mir schwant Schlimmes).“ gehört dazu.
    Hier habe ich noch allerlei Zusätzliches und Bereicherndes gelesen, um den Aspekt von „Schwan“ zu erweitern.

    Gruß,
    Gunhild

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert