Das Tier und wir


Le chatIch war neulich zu Gast in einer Dachwohnung, und als ich am Morgen aufwachte, gab es da einen schwachen Druck auf die Magengegend, ein weiches, nachgiebiges Gewicht, das sich leicht durch das Heben und Senken meines Bauches modellieren ließ, aber zuviel eigene Masse besaß, um davon wegzugehen. Mein Kopf war noch nicht wirklich einsatzfähig, die Augen waren nur offen zu halten, wenn ich längere Verschlußphasen dazwischenschob, und in den ersten Sekunden, in denen ich etwas wahrnehmen konnte, mußte ich erst mal mein Umgebung dechiffrieren: Die Balken der Dachschräge zum Beispiel, und das quer übers Bett gespannte Transparent mit irgendeinem indianischen Gott oder Fabelwesen darauf; und dann fielen mir auch erst noch die chinesischen Symbole auf, mit denen die Bettdecke gemustert war, bevor ich entdeckte, was da so sanft auf meinen Magen drückte. Es war eine Katze, und sie saß genau da, weil diese Stelle durch ein Dachfenster von der Sonne ausgeleuchtet wurde.

Sie saß wirklich, jedenfalls würde ich ihre Haltung so bezeichnen wollen, denn sie hatte sich nicht bequem ausgestreckt, sondern hielt ihren Kopf sehr aufrecht und betrachtete mich durchaus aufmerksam, wenn auch mit diesem typischen Katzenblick, der eine gewisse Arroganz auszudrücken scheint, als ob die Katze sagen wollte, ich kenne Dich zwar nicht, aber deswegen bist Du noch lange nicht wichtig. Erst nach dem sie das hinreichend zum Ausdruck gebracht hatte, räkelte sie sich ein wenig, setzte dann ebenso unvermittelt zum Sprung an, stieß sich von meinem Magen ab und landete auf dem Fußboden. Dann schlich sie gemütlich in eine andere Ecke des Zimmers, wo, wie mir jetzt auffiel, eine weitere Katze saß und mich ebenfalls beobachtete.

Es klingt sicher albern, aber mir war es in diesem Moment ein bißchen peinlich, in einem fremden Bett aufzuwachen und dabei von zwei ebenfalls fremden Katzen beobachtet zu werden, und ich glaube, ich habe unbewußt die Bettdecke sogar etwas höher gezogen. Dann bin ich wohl noch mal weggedämmert, und am Morgen hatte ich die Episode vergessen.

Erst gestern fiel sie mir wieder ein, als ich eine Meldung entdeckte, in der eine Buchveröffentlichlung aus dem Nachlaß von Jacques Derrida angekündigt wird. L’animal que donc je suis ist der Titel, eines dieser cleveren derrida’schen Wortspielchen (je suis – heißt das hier ich bin oder ich folge?), und es geht in den darin versammelten Texten, entnehme ich der Notiz, um die Philosophie und das Tier, um Heideggers Behauptung etwa, dass ein Hund nicht existiere, weil er nichts anderes tue als zu leben.

Und wie es scheint, kommt Derrida in einem Text auch auf seine Katze zu sprechen, aber erst, nach dem ihm Folgendes aufgefallen ist: Nämlich dass die großen Philosophen ebenso wie die Allgemeinheit davon ausgehen,

dass eines den Tieren zu eigen ist, und sie in letzter Instanz von den Menschen unterscheidet, nämlich dass sie nackt sind, ohne es zu wissen. Das heißt aber, dass sie nicht nackt sind, dass sie kein Wissen von ihrer Nacktheit haben, und damit insgesamt kein Wissen von Gut und von Böse. Da sie nackt sind, ohne es zu wissen, sind die Tiere in Wahrheit also nicht nackt.

Und damit ist den Tieren auch die Scham ebenso fremd wie die Schamlosigkeit, und damit das ganze Wissen vom Selbst, das von dort ausgeht. Und trotzdem kennt auch Derrida das mulmige Gefühl, wenn man bemerkt, dass man beobachtet wird:

Oft frage ich mich zum Beispiel, wer ich bin, wer ich in dem Moment bin, wo ich nackt überrascht werde, schweigend, vom Blick eines Tieres, zum Beispiel den Augen einer Katze, wenn es mir dann schwer fällt, eine gewisse Geniertheit zu überwinden. Warum fällt mir das schwer?

Derrida spricht hier eigentlich nicht bloß vom schwer fallen, er sagt mal: Pourquoi ce mal?. Das heißt, er denkt sich hier wirklich einen Schmerz, vermute ich mal, so einen kleinen Stich in die Brust, wenn man bei einer Peinlichkeit ertappt wird.

Empfinde ich vor einer Katze, die mich nackt betrachtet, die gleiche Scham wie ein Tier das kein Wissen mehr von seiner eigenen Nacktheit hat? Oder ist es im Gegenteil die Scham eines Menschen, der das Wissen seiner Nacktheit bewahrt hat?

Wenn ich das wüßte. Man müßte es die beiden Katzen aus dem Dachgeschoß fragen. Aber vermutlich ist ihnen die Sache egal.

(Aber dieses Blog hat jetzt endlich auch seinen Katzencontent. Via Earmarks In Early Modern Culture.)

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