Winstanley


Winstanley

And hereupon, The Earth (which was made to be a Common Treasury of relief for all, both Beasts and Men) was hedged in to In-closures by the teachers and rulers, and the others were made Servants and Slaves: And that Earth that is within this Creation made a Common Store-house for all, is bought and sold, and kept in the hands of a few, whereby the great Creator is mightily dishonoured, as if he were a respector of persons, delighting in the comfortable Livelihoods of some, and rejoycing in the miserable povertie and straits of others. From the beginning it was not so.

– Gerrard Winstanley, The True Levellers Standard Advanced (1649)

Die Filmbranche ist ein Geschäft, das es unabhängigen Produzenten ungleich schwerer macht als etwa die Musik, die Literatur oder die Bildende Kunst. Die Digitalisierung der Medien hat zwar auch die Infrastruktur, die nötig ist, um einen Film zu produzieren, zu vertreiben und vor ein Publikum zu bringen, leichter verfügbar gemacht. Aber einen Film zu drehen, ist doch noch ein komplexeres Unterfangen als die Aufnahme eines Songs oder das Malen eines Bildes.

Unabhängige Produktionen aus der Zeit, als das Filmen noch wirklich kostspielig und aufwändig war, haben darum immer etwas Exzentrisches: Sie wirken wie das Resultat eines extravaganten Hobbys, von dem man ahnt, dass es nur mit einer gewissen Besessenheit verfolgt werden konnte, die man als Außenstehender bewundern und respektieren, aber nicht wirklich nachvollziehen kann. Selbst die unbeholfenste, Ed-Wood-mäßigste Produktion nötigt dem Betrachter wenigstens ein Minimum an Anerkennung ab für die Hartnäckigkeit und Konsequenz, die für ihre Erstellung nötig war, so skurril man sie auch sonst finden mag. Umso bemerkenswerter ist es dann, wenn ein solcher Film die Widrigkeiten seiner Entstehungsumstände überwindet und tatsächlich zu einer eigenen filmischen Sprache und Ästhetik findet.

Winstanley ist ein solcher Film. Als Entstehungsjahr wird 1975 angegeben, aber tatsächlich beginnt die Geschichte des Films in den späten Sechzigern. Sechs Jahre arbeiteten Kevin Brownlow und Andrew Mollo an der Fertigstellung dieses Films, mit einem bescheidenen Budget und einem Stab, der fast ausschließlich aus Laien bestand. Entstanden ist dabei ein ungewöhnliches period piece, ein unabhängig produzierter Kostümfilm, der nicht nur von der Zeit erzählt, in der die Handlung spielt, sondern auch Ära seiner Entstehung dokumentiert. Und das in wunderbaren spröden und poetischen Bildern, die sich in den eindrücklichsten Momenten durchaus mit Filmen von Pasolini oder Bresson vergleichen lassen.

Gerrard Winstanley, der Titelheld des Films, gehörte zu den zahlreichen religiösen und sozialreformerischen Aktivisten, die in der Zeit des englischen Bürgerkriegs und des Protektorats auftauchten. Seine Biographie ist nicht untypisch für diese Zeit: Ein „einfacher Mann“ ohne besondere Bildung, der bis zum Bürgerkrieg als Schneider arbeitete, aber in den politischen Wirren bankrott ging. Die gesellschaftlichen und privaten Turbulenzen führten ihn zu religiösem Selbststudium, und schließlich zur Formulierung eines christlichen Kommunismus, der den verlorenen Urzustand einer gerecht und gleichmässig aufgeteilten Welt wieder herstellen wollte. Mit ein paar Freunden ging er daran, seine Weltanschauung in die Praxis umzusetzen: Sie besetzten den Saint George’s Hill in Surrey, um eine Kommune zu gründen und das Land „umzugraben, zu düngen und dort Getreide auszusäen“. Diggers wurden sie deshalb von den Einheimischen spöttisch genannt, Winstanley selbst bevorzugte allerdings den Namen True Levellers, was bezeichnenderweise auch auf ein Schimpfwort zurückging: So nannte man ursprünglich ländliche Rebellen, die umstrittene Zäune und Hecken niederrissen, und in Winstanleys Zeit eine ebenfalls agrarreformerisch, aber weit weniger egalitär eingestellte Bewegung um den Puritaner John Lilburne.

Saint George’s Hill in Weybridge war Allmende und damit in der Auffassung der True Levellers Land, das allen gleichberechtigt zur Nutzung offenstand. Das sahen die örtlichen Landwirte und Handwerker anders, für die Winstanleys Gruppe vor allem ein Ärgernis war: Eine Kommune ungepflegter Taugenichtse, die merkwürdige Lehren verbreitete und beim gewohnten Jagen, Fischen und Holzsammeln störte. Das Experiment der Diggers wurde teils mit juristischen Mitteln, teils durch Mobbing und Vandalismus zu Fall gebracht. Winstanley mag wohl eine Zeit lang auf eine Neuauflage gehofft haben: Er publizierte noch einige religiöse und sozialreformerische Schriften und hatte offenbar auch enge Verbindungen zum aufkommenden Quäkertum, aber eine ähnliche Aktion wie die Besetzung von Saint George’s Hill hat er nicht mehr unternommen. Der Hügel selbst ist ironischerweise heute eines der exklusivsten und abgeschottetsten Wohnviertel in England, eine repräsentative Adresse für die Elton Johns und Kate Winslets dieser Welt.

Winstanley war aber nicht die erste Produktion von Brownlow und Mollo. 1966 hatten sie schon einmal einen anderen Spielfilm herausgebracht, ebenfalls über mehrere Jahre hinweg in Eigenregie produziert. It Happened Here hieß das Debüt, das immerhin von prominenten Sponsoren wie Stanley Kubrick und Tony Richardson unterstützt wurde und recht erfolgreich in einigen englischen Kinos lief. Anders als Winstanley spielte der Film in nicht vor einem historischen, sondern einem fiktiven Hintergrund, nämlich einem von deutschen Truppen eroberten und faschistisch regierten England. (Der Titel ist eine Anspielung auf den satirischen amerikanischen Roman It Can’t Happen Here, der schon 1935 die USA in den Händen eines faschistischen Regimes inszenierte.) Historische Präzision war für Brownlow und Mollo aber auch in diesem Film schon ein wichtiges formales Kriterium: Kostüme, Sets und Ästhetik wurden möglichst realitätsgetreu entlang der historischen Vorbilder entwickelt. In ihrer pedantischen Akribie waren die beiden Filmemacher sogar so weit gegangen, einige Faschisten mit tatsächlichen Neonazis zu besetzen, etwa mit dem notorischen Colin Jordan, der einige Filmminuten lang gegen Juden und für Euthanasie hetzen durfte. Jordans Auftritt wurde nach Protesten rausgeschnitten, in der DVD-Fassung, die vor einigen Jahren herauskam, ist er allerdings wieder drin.

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Winstanley beginnt mit einem furiosen Schlachtengemälde, dessen Schnitt und Soundtrack (Prokofievs Filmmusik für Alexander Nevsky) offenbar ganz gezielt von Sergej Eisenstein und dem frühen sowjetischen Kino genommen sind, als gälte es, schon vom Start weg politische Korrektheit zu signalisieren. Tatsächlich gibt es auch in diesem Film eine explizite Aktualisierung, diesmal mit umgedrehten politischen Vorzeichen: Winstanleys Camp wird von Ranters aufgesucht, gewissermaßen eine Art vormoderne Spontis, die die pazifistische und christlich motivierte Ernsthaftigkeit der Levellers mit blasphemischen Sprüchen und obszönen Gesten aufmischen. Als Darsteller der Ranters wurden präsumtive Nachfolger im Geiste gecastet, nämlich Mitglieder einer Londoner Kommune, die sich New Diggers nannten und von Sid Rawle, laut britischen Boulevardmedien der „König der Hippies“, angeführt wurden. Ihr Auftauchen mag bei einigen Mitgliedern des Laienensembles tatsächlich mit Befremden aufgenommen worden zu sein, zumindest scheinen das die konsternierten Blicke auf einigen Gesichtern zu belegen.

Ein politischer Film ist Winstanley allerdings nicht wirklich. Brownlow kam es nach eigenem Eingeständnis eher darauf an, „zu überprüfen, inwieweit die Produktion eines völlig authentischen Films möglich ist“. Zusammen mit Andrew Mollo, einem begeisterten Fan und Sammler von Militaria, rekonstruiert er Szenen und Kostüme exakt nach historischen Vorlagen, organisiert authentische Uniformen und Requisiten aus dem Londoner Tower, rekrutiert die Mitglieder lokaler Geschichts- und Trachtenvereine als Darsteller und vergißt sogar die Tierwelt nicht: Die Schweine und Hühner, die durchs Lager der Diggers laufen, entstammen Rassen, die im 17. Jahrhundert noch gebräuchlich, seither aber nahezu ausgestorben waren.

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Das macht aber nicht den eigentlichen Reiz des Films aus, sondern die Art und Weise, wie Brownlow diese Authentizität in Szene setzt. Nicht in überschwänglichen, opulenten Bildern, sondern fast asketisch, in nüchternem Schwarz-Weiß, mit sparsam gesetzten Gesten, Dialogen und Bewegungen und mit einem präzisen Blick für die darstellerischen Möglichkeiten von Licht, Landschaft und Wetter. Man sieht den Bildern an, dass Brownlow ein passionierter Fan der Stummfilm-Zeit ist: Viele Szenen kommen ohne große Worte aus, und der Text ist meist nicht ausführlicher und ähnlich kompakt wie ein Zwischentitel. Dass die Darsteller fast durchweg Laien sind und viele ihrer Dialoge brav und wie abgelesen aufsagen, scheint im Nachhinein beinahe ein bewusst gesetztes Stilmittel: Es passt durchaus zu den Figuren aus einer postrevolutionären Gesellschaft, in der soziale Rollen unsicher geworden sind und das vorsichtige Einhalten von Konventionen immerhin noch ein wenig Stabilität verspricht. Zwei der bewegendsten Szenen kommen schon relativ am Anfang des Films. Gleich zu Beginn begegnet Winstanley seinem härtesten Widersacher, dem Dorfpfarrer Platt, an einer Wegkreuzung auf offenem Feld. Zwischen beiden entspinnt sich ein Disput, aber der Wortlaut ist kaum auszumachen, weil der Wind die Sätze fast unhörbar macht: Die Auseinandersetzung um den richtigen Weg wird auch zu einem Kampf gegen die Elemente. Nur wenig später wird Winstanley von der Frau des Pfarrers in der Kutsche mitgenommen. Als sie im in ungelenken Worten ihre Sympathie bekundet und ihren Wunsch zur Mitwirkung bei den Diggers, kann er nur Nüchternes entgegnen: „Our life is very hard.“

Politik ist für die Hauptfigur des Films eher ein Hindernis auf dem Weg zu einer gerechteren Gesellschaft. Winstanley ist kein Aufklärer, sondern eher ein mystischer Idealist, der Gerechtigkeit vor allem als Resultat eines rechtschaffenen, menschenfreundlichen und prinzipienfesten Lebenswandels sieht. Aber weil ihm jedes Gespür für die Feinheiten der politischen und sozialen Maschinerie abgeht, bleibt er ein wehrloser und wenig durchsetzungsfähiger Messias, dem am Ende nicht einmal die Gelegenheit geboten wird, zum Märtyrer seiner Sache zu werden. Es ist in diesem Zusammenhang allerdings ganz interessant, dass der Autor der Romanvorlage des Films, ein Schriftsteller namens David Caute, seine Mitwirkung zurückzog, weil ihm der politische Aspekt in der Figur Winstanleys zu stark betont und die Ambivalenz seiner religiösen Motivation zu wenig herausgearbeitet war: „Winstanley […] remains from start to finish a decent, upstanding, strangely well-spoken Left Book Club idealist. [T]he religious torment, the mood swings between pride and humility, Winstanley’s mounting confusions about God and Reason, have utterly gone.“ Da ist was dran, aber Winstanleys Filmtext besteht auch fast ausschließlich aus Zitaten seiner Schriften. Unsicherheit, Zweifel und Stimmungsumschwünge sind eher in die Bilder verlegt, in die Wechselhaftigkeit und Ungnädigkeit des Wetters, in die euphorischen oder skeptischen Gesichter der Protagonisten, in die Zähigkeit, mit der die Diggers ihren Alltag organisieren, obwohl sich kaum etwas zu bewegen und zu verändern scheint.

Damit ist Winstanley auch so etwas wie eine Parabel des Filmemachens, oder doch zumindest der Produktion eines Filmes wie diesem: Als eines Balanceakts zwischen der Umsetzung eines Skripts, dem man die Treue halten will, und den äußeren Umständen, die einem Rückschläge und Umwege, wenn nicht gar ein Scheitern aufbürden. Für Brownlow und Mollo blieb es die letzte eigene Produktion: In den Kinos wurde der Film kaum gezeigt, erst allmählich und über die Jahre hat er eine Art Kultstatus zugewiesen bekommen. Mollo war anschließend noch als Berater und Artdirector an einigen Filmen beteiligt, etwa Doktor Schiwago und Der Adler ist gelandet. Brownlow ist heute ein angesehener Experte für die Ära des Stummfilms, der ein Standardwerk (The Parade’s Gone By) verfaßt, vor allem aber eines der aufwändigsten Restaurationsprojekte der Filmgeschichte verantwortet, nämlich die Rekonstruktion von Abel Gances Epos Napoléon. Seit einigen Wochen ist er sogar Oscar-Preisträger: Für seine filmhistorischen Arbeiten erhielt er in diesem Jahr einen Ehrenpreis. Winstanley und It Happened Here erwähnt die Pressemitteilung der Academy mit keinem Wort.

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